360F: Fintech-Vorreiter in Sachen Digital Advice und KI

24. Juli 2022 | Aktuell Interviews
360F: Fintech-Vorreiter in Sachen Digital Advice und KI: Michael Gerber, CEO
360F: Fintech-Vorreiter in Sachen Digital Advice und KI: Michael Gerber, CEO

Digitale Berater und KI existieren bereits seit geraumer Zeit, sie sind Teil des modernen Vertriebs. Das Tagesgeschäft soll damit besonders bei erklärungsbedürftigen Produkten erleichtert werden. Gründe für den Einsatz von digital advice und KI sind vor allem Zeitersparnis, Reduktion von Fehlern und Vorbeugung von Missverständnissen. thebroker spricht mit Michael Gerber, CEO der in Singapur domizilierten 360F.

Michael Gerber, Sie kamen von der Boston Consulting Group als Sie 2001 erstmals Geschäftsführers eines Beratungsunternehmens wurden. Weshalb gründeten Sie 2016 zusammen die Firma 360F in Singapur?

Schon immer war der Vertrieb von Finanzproduktion mein Steckenpferd. Der Vertrieb hat eine eigene, faszinierende Dynamik inne. Gleichzeitig ist der Vertrieb der massgebende Kostentreiber bei der Versicherung. Rund 70 Prozent aller Administrations- und Verwaltungskosten entfallen auf den Vertrieb. Da gibt es ein enormes Optimierungspotential. Singapur ist seit elf Jahren nach der Schweiz unsere zweite Heimat. Die beiden Länder sind einerseits sehr unterschiedlich, andererseits sind beides hoch entwickelte Finanzstandorte, mit einer speziellen Funktion für die Region.

Ist Ihr Sitz in Singapur kein Nachteil für DACH-Versicherer?

In den vergangenen Monaten wurde ich regelmässig von DACH und globalen Versicherern eingeladen, die technische Innovation und die Vorreiterrolle von Asien aufzuzeigen. In vielen Bereichen ist die Digitalisierung in Asien mindestens drei bis fünf Jahre derjenigen Europas voraus. So gibt es zum Beispiel in Singapur eine digitale ID («SingPass»), mit der ich auf Knopfdruck Daten von der Regierung (Adresse, Familienstand, Einkommen, Renteneinlage, Steuer, und mehr), von Banken und Versicherungen beziehen kann. Damit ist die Finanzberatung 100 Prozent automatisierbar und nur noch ein Click entfernt.

Dieser Prozess reduziert Kosten und eröffnet ganz neue Wege mit dem Kunden zu interagieren. DACH Versicherer sind sehr daran interessiert, diese innovativen Prozesse und Systeme zu verstehen und – wo möglich – zu kopieren. Da ich beide Länder gut kenne, kann ich dabei gut punkten.

Seither errichten Sie unter anderem intelligente Produktberatung. Bei welchen Versicherern im DACH-Raum sind sie tätig?

Wir arbeiten primär mit den globalen und international tätigen Versicherungen, die technische Innovation in mehrere Länder bringen wollen.

Können Sie Beispiele nennen, wo 360F-Lösungen angewendet werden?

Wir bieten für alle Vertriebspartner Lösungen an. Grundsätzlich unterscheiden sich die europäischen Märkte sehr stark in ihren Vertriebsstrukturen. Während in Südeuropa der Bankenvertrieb dominant ist, wird im DACH-Raum der Vertrieb vom eigenen Aussendienst beherrscht. In England wiederum sind es die Broker die den grossen Teil des Geschäftes machen. Abhängig vom Vertriebspartner wird unsere innovative Lösung angepasst. Grenzübergreifend nimmt aber immer mehr das Thema «Digitale Advice» zu, bei dem die Produktempfehlung technologieunterstützt im besten Interesse des Kunden, über alle Vertriebskanäle hinweg konsistent ist.

360F hat den weltweit ersten Lösungsoptimierer entwickelt, welcher Versicherungs- und Vorsorgelösung synergetisch zusammenführt und automatisiert. Welche Vorteile bietet er?

Dank der grossartigen Zusammenarbeit mit der Zurich Versicherung konnten wir nachweisen, dass eine holistische Beratung für Versicherungs- und Vorsorgelösungen dem Vertrieb massive Vorteile bringt: Der Kunde erhält eine kompetente 360-Grad-Beratung und der Berater kann im Schnitt bis zu 23 Prozent mehr verkaufen, da er sich nicht auf eine Silo-Lösung konzentriert, die manchmal passt – manchmal aber auch nicht.

Welche Vorteile bieten Ihre 360G-Systeme gegenüber anderen Lösungen zur Produktberatung?

Uns ist keine andere Lösung bekannt, die gleichzeitig Versicherungs- als auch Vorsorgeprodukte abdeckt. Wir haben in den letzten vier Jahren 100 Prozent unseres Gewinns reinvestiert und konnten unser Alleinstellungsmerkmal massiv ausbauen.

Wann und wo bedarf es Ihres Beratungs-Engines?

2010 – 2012 sind die ersten Robo-Advisor im US-Markt erschienen. 2015 – 2016 haben diese den Einzug in Europa und Asien geschafft und sind heute Standard bei den meisten Banken. Zehn Jahre später sehen wir die Versicherer vor einem ähnlichen Trend. Jedoch wird hier die Technologie eingesetzt, um den Berater zu unterstützen – nicht zu ersetzen.

Welche Vorteile haben Versicherer beim Gebrauch Ihres Optimierers?

In erster Linie schätzt der Kunde eine holistische Beratung. Die Themen Versicherungsschutz und Vorsorge sind komplex und ein Kunde ist schnell verwirrt, wenn er mit unterschiedlichen Banken und Versicherungen zum gleichen Thema sprechen muss, jeder Berater aber eigne Produkte mitbringt und eigene Terminologie verwendet. Unsere Technologie stellt sicher, dass der Kunde einen optimierten Lösungsvorschlag erhält. Wir berechnen auf Basis der Kundenbedürfnisse und dem Lösungsangebot der Versicherung einen «Financial Wellbeing Score», der angibt, wie gut die Lösung zum Kunden passt. Diesen nennen wir 360-HappiU®. Hundert Prozent Transparenz für den Kunden. Diese Argumente sind stichhaltig und sorgen für hohe Kundenzufriedenheit.

Bei den High-Growth-Companies Asia Pacific 2022 hat 360F den dritten Platz geholt. Gratulation! Wohin geht die Reise weiter?

Danke! Wir waren selbst überrascht, welches Momentum in den letzten Jahren die digitale Beratung genommen hat. Es gibt kein Unternehmen, das sich nicht mit dem Thema beschäftigt. Wir planen weiterhin die Expansion in den dynamischen Märkten Asiens und dem Mittleren Osten. Gleichzeitig sehen wir viel Nachholbedarf in Europe. 2023 werden wir verstärkt in Europa auftreten, mit dem Ziel in Deutschland zuerst Fuss zu fassen.

Sie bieten eine Vielzahl von API-First-Microservices an. Diese roboterunterstützte Beratung hilf Versicherungsvertreten und Finanzverwaltern schnelle und präzise Vorschläge zu machen Wie funktionieren die Services?

Unsere KI analysiert das Kundenprofil. Basierend auf den Bedürfnissen des Kunden werde alle passenden Produkte der Bank oder Versicherung gescannt und analysiert. Auf Basis von bis zu 40 Millionen Simulationen werden die Produkte identifiziert, die den optimalen Kundenwert ergeben. Das geschieht, dank hocheffizienter Technologie, innert ein bis drei Sekunden. Vor fünf Jahren wäre diese noch undenkbar gewesen und hätte Minuten, wenn nicht gar Stunden gedauert. Manuell ist diese Arbeit nie zu leisten.

Wohin geht die KI-Reise im Gebiet der Versicherer noch?

Wir stehen erst am Anfang. Die Versicherungswirtschaft ist einerseits massiv krisenresistent und hat das 150 Jahre lang bewiesen, anderseits hat sie aber substantiellen Nachholbedarf in der Digitalisierung. Wir sehen drei fundamentale Trends, die für KI unterstützend wirken:

  • Open Finance: Es werden immer mehr Daten verfügbar und abrufbar
  • Best Interest Regulation: In USA und Australien schon Standard, wird in der Zukunft der Berater nachweise müssen, dass er dem Kunden das optimale Produkt anbietet – und nicht etwa ein Produkt das dem Berater zuerst dient
  • Digital Customer: Kunden sehen den Berater als primären Ansprechpartner. Dieser muss aber – gleich wie auf der Homepage – technologisch unterstützt werden und der Kunde kann jederzeit über das Handy Produktevorschläge des Beraters abrufen und mitentscheiden
Woran arbeiten Sie im Moment und was sind Ihre nächsten Entwicklungen?

In Malaysien integrieren wir 360-HappiU® für zehn Millionen Erwerbstätige in die berufliche Vorsorge- und Rentenlösung – analog der betrieblichen Altersvorsorge in Deutschland oder der zweiten Säule in der Schweiz. Der «Financial Wellbeing Score» ist quasi ein Landesstandard und zeigt dem Kunden auf einer Skala von eins bis hundert seinen Finanzstatus auf und auch wo der Kunde Handlungsbedarf hat. Produktempfehlung (vom Bankdarlehen, über Lebensversicherung bis zur Vorsorge) werden dann automatisiert dem Berater zugespielt, der mit dem Kunden den Kontakt aufnehmen kann. In Zukunft kann der Berater kompetent und effizient beraten – auf Basis von Daten und nicht auf Basis von Bauchgefühl.

Michael Gerber ist Gründungspartner und CEO von 360F. Davor war er geschäftsführender Gesellschafter und CEO von Synpulse, einer weltweit tätigen Unternehmensberatung. Der internationale Finanzdienstleister beschäftigt rund 300 Mitarbeitende in der Schweiz, Deutschland, USA, UK, Singapur und Hongkong. Michael Gerbers berufliche Laufbahn begann als technischer Projektleiter bei Living Systems. Anschliessend wurde er Berater bei der Boston Consulting Group Schweiz im Bereich Financial Services.

Während seiner Beraterkarriere konzentrierte sich Michael überwiegend auf Vermögensverwaltung und Lebensversicherung. Er verfügt über umfangreiche Erfahrung in den Bereichen Vertrieb, Kundenorientierung, Prozessoptimierung und Plattformprojekte. Michael hat in mehr als zwanzig Jahren über hundert Projekte geleitet und daran teilgenommen. Michael studierte Physik an der Universität Karlsruhe in Deutschland (1991 – 1996), an der Ecole Nationale Supérieure de Physique de Grenoble in Frankreich (1993 – 1994) und an der Universität Sheffield in England (1994-1995). Sein Studium schloss er mit dem Abschluss als Magister in Naturwissenschaften und einen Abschluss als Master of Philosophy ab. 2006 erwarb er zusätzlich einen Abschluss in Versicherungsmanagement an der Universität St. Gallen in der Schweiz.

Die Fragen hat Binci Heeb gestellt.

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