Motivation und Trainingsroutine nach Herzinfarkt dank «Carity».

4. November 2024 | Aktuell Allgemein Interviews
Motivation und Trainingsroutine nach Herzinfarkt dank «Carity»: Aliaksei Tsitovich, PhD, Informatiker und Mitgründer von «Carity.
Motivation und Trainingsroutine nach Herzinfarkt dank «Carity»: Aliaksei Tsitovich, PhD, Informatiker und Mitgründer von «Carity.

Nach einem Herzinfarkt gibt es in der Schweiz gute Rehabilitations-Programme, nur sind sie zu kurz. Auf drei bis vier Wochen stationären Aufenthalt folgen 6-12 Wochen ambulant. Jedoch hören die meisten Patienten auf, ihre Übungen weiterzumachen, weil sie ihr Herz nicht überbelasten möchten. Um dies zu ändern, begleitet seit Ende September 2024 die App «Carity» Menschen während der kardialen Rehabilitation und darüber hinaus, um Ihre Motivation und Trainingsroutine aufrecht zu halten und ihnen ein aktives und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

thebroker spricht mit Aliaksei Tsitovich, PhD, Informatiker und Mitgründer von «Carity» über die 2021 gegründete Firma.

Wie kamen Sie auf die Idee für diese App?

Die App ist nicht die zentrale Idee; sie ist einfach ein Mittel, um einen umfassenden kardialen Rehabilitationsdienst anzubieten. Bei Evoleen (dem Inkubator, in dem Carity gestartet wurde) begann 2019 die Erforschung eines kardiologischen Rehabilitationsdienstes. In enger Zusammenarbeit mit Kardiologen wollten wir die kardiale Rehabilitation unterstützen und erweitern und experimentierten mit verschiedenen Ansätzen – 24/7-Patientenüberwachung, speziellen Wearables und Telekonsultationen. Das, was wir heute haben, ist das Ergebnis mehrerer verfeinerter Iterationen.

Die bewegungsbasierte kardiologische Rehabilitation wird von der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie als «Must-have» angesehen, ein sogenannter Leitfaden der Klasse I. Körperliche Aktivität ist entscheidend für die Risikoreduktion bei Patienten, was durch starke Forschungsergebnisse untermauert wird. Die Herausforderung besteht darin, eine stetige und nachhaltige Aktivität zu fördern, um eine Überbelastung zu vermeiden und die Aktivität langfristig aufrechtzuerhalten. In der Schweiz haben Herzinfarkt-Überlebende Glück: Über 50 Prozent nehmen an der Rehabilitation teil. Die Versicherung deckt jedoch in der Regel etwa drei Wochen stationäre Pflege oder 36 ambulante Besuche über einen Zeitraum von 6–12 Wochen ab. Danach fühlen sich die Patienten oft allein gelassen, in einer Phase, die sie als «schwarzes Loch» bezeichnen. Wir haben diese Bedenken angehört und glauben, dass wir das Erlebnis verbessern können – zum Wohl der Patienten, Gesundheitsdienstleister, Kliniken und letztlich der Versicherer und der Gesellschaft, die die Gesundheitskosten tragen.

Was bietet die Carity-App?

Carity ist ein digitaler Gesundheitsdienst, der darauf abzielt, die kardiale Rehabilitation zu verbessern und zu verlängern. Die App ist ein in der Schweiz zugelassenes Medizinprodukt und kann mit Daten von Smartwatches (anfänglich mit der Apple Watch) integriert werden, um Patienten in ihrer Rehabilitationsreise zu unterstützen und ihnen zu helfen, ein aktives und selbstbestimmtes Leben zu führen.

Die App motiviert Patienten und personalisiert ihre Rehabilitationsziele, indem sie sich auf drei Schwerpunkte konzentriert:

  • Herz – Carity visualisiert die langfristige kardiologische Fitness durch Indikatoren wie geschätzte HRV, VO₂ max und einen 6-Minuten-Gehtest, um Verbesserungen der Herzgesundheit im Laufe der Zeit sichtbar zu machen.
  • Geist – Durch validierte psychologische Fragebögen ermöglicht Carity eine nachhaltige Überwachung der psychischen Gesundheit und warnt Patienten, wenn ihre Antworten darauf hinweisen, dass psychologische Unterstützung benötigt wird.
  • Leistung – Carity erfasst wöchentliche körperliche Fortschritte in Bezug auf die Übungsziele. Die «Leistung» wird jeden Montag zurückgesetzt, um Patienten zu ermutigen, die empfohlenen Trainingsintensitäten einzuhalten und sie für das Training im optimalen Bereich zu belohnen.

Die App begleitet Patienten bei spezifischen Aufgaben und Übungen, die vom Betreuungsteam empfohlen werden, und regt sie dazu an, wöchentliche Berichte mit ihrem Betreuungsteam oder ihrem persönlichen Gesundheitscoach zu teilen, um Fortschritte zu reflektieren. Diese Berichte haben eine doppelte Funktion: Sie bieten dem Betreuungsteam verständliche Einblicke und ermöglichen personalisierte Rehabilitationsprogramme in ambulanter, stationärer oder gemischter Betreuung. Gleichzeitig fördern sie die Motivation und Verantwortlichkeit – vom Betreuungsteam gegenüber dem Patienten und später im Programm durch Gesundheitscoaches oder nahestehende Personen.

Für Gesundheitsdienstleister und Kliniken bietet Carity ein zertifiziertes Medizinprodukt, unterstützt durch klinische Forschung. Datenschutzorientiert und integrationsfähig lässt sich Carity sowohl in Standard- als auch in wertbasierte Klinikumgebungen einsetzen und bietet sowohl vereinfachte PDF-Berichte als auch vollständige HL7-FHIR-API-Integrationen.

Die «Blended Care»-Lösung steht seit dem 29. September 2024 für Reha-Kliniken und kardiologische Praxen für ihre Patienten zur Verfügung. Erklären Sie uns bitte diese Lösung.

Die Blended-Care-Lösung ist parallel zur Standardversorgung für die ambulante kardiologische Rehabilitation aufgebaut und lässt sich nahtlos in den Rehabilitationsverlauf integrieren. Dieser Ansatz folgt einem Patientenpfad, der kontinuierliche Unterstützung für Patienten und Kliniker in jeder Phase bietet. Hier eine Übersicht über die Patientenreise:

  • Anmeldung – Patienten werden zu Beginn der Phase 2 durch ihre Rehabilitationsklinik in Carity eingeführt. Wir schulen das Klinikpersonal im Onboarding, stellen ihnen Onboarding-QR-Codes zur Verfügung und bieten bei Bedarf direkte technische Unterstützung oder über Einzelhandelspartner wie DQ Solutions (für die Einrichtung von Smartwatches wie der Apple Watch).
  • Onboarding – Die App führt die Patienten durch die Einrichtung der Apple Watch-Integration und macht sie mit den Funktionen der App, einschliesslich des Fortschrittstrackings, vertraut.
  • Aufgaben und Berichtweitergabe – Im Laufe der Woche hilft Carity den Patienten bei wichtigen Aufgaben, einschliesslich der Weitergabe eines Wochenberichts. Dieser Bericht ermöglicht es dem Betreuungsteam, den Fortschritt zu überwachen und die Therapieziele zur Optimierung der Rehabilitation anzupassen.
  • Abschluss, Nachbetreuung und Langzeitunterstützung – Am Ende des ambulanten Programms unterstützt Carity die Patienten weiterhin bei der Aufrechterhaltung von Lebensstiländerungen, fördert ein anhaltendes Aktivitätsniveau und ein kontinuierliches Engagement für die Langzeitunterstützung. Carity dient als Brücke über die traditionelle Rehabilitation hinaus und bietet mehrere Möglichkeiten zur weiteren Unterstützung, einschliesslich eines persönlichen Gesundheitscoachs für Phase 3. Dies soll die Patienten letztlich dabei unterstützen, eine langfristige körperliche und geistige Gesundheit in ihr tägliches Leben zu integrieren.

Über diesen Weg unterstützt Caritys Blended-Care-Modell einen reibungsloseren Übergang von der geführten Rehabilitation zur eigenständigen Verwaltung und fördert nachhaltige Lebensstiländerungen.

Unsere Studien haben gezeigt, dass kardiologische Rehabilitation in verschiedenen Kliniken unterschiedlich umgesetzt wird. Anstatt Caritys Programm aufzuzwingen, geben wir den Kliniken digitale Werkzeuge an die Hand, die es ihnen ermöglichen, ihre eigenen Ansätze zu bewahren und ihre Rehabilitationsprogramme mit Caritys Ressourcen zu verbessern.

Wir haben versucht, die App herunterzuladen, haben sie aber nirgends gefunden. Weshalb?

Carity operiert derzeit ausschliesslich in der Schweiz, daher ist die App nur im Schweizer App Store verfügbar. Für Personen in der Schweiz hier der direkte Link zur App-Seite im App Store: www.carity.care/app.

Welche Ausbildung haben die Coaches?

Unsere Coaches sind mit speziellen Zertifizierungen von renommierten Institutionen ausgebildet. Viele haben das CAS Personal Health Coach-Programm der Universität Basel absolviert, das eine vertiefte Ausbildung in Gesundheitscoaching und Lebensstilmodifikation bietet. Zudem sind einige unserer Coaches zertifizierte Herztherapeuten, die durch Programme an medizinischen Hochschulen in der Schweiz geschult wurden. Diese Programme, die mit den Richtlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation (SCPRS) abgestimmt sind, vermitteln unseren Coaches das Wissen und die Fähigkeiten, um kardiologische Rehabilitationspatienten effektiv zu begleiten und deren langfristige Gesundheits- und Fitnessziele zu unterstützen.

Auch der preisgekrönte Comedian und Unternehmer Dr. med. Fabian Unteregger ist als medizinischer Berater mit von der Partie. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Wir haben Dr. Fabian Unteregger in der frühen Ideationsphase bei Evoleen kennengelernt. Damals waren wir noch unsicher, ob wir das Unternehmen gründen sollten. Seine Worte, unter anderem, waren eine wichtige Motivation für uns. Er sagte etwas in der Art: «Unabhängig davon, wie erfolgreich die Carity-Lösung wird, wird das Schweizer Gesundheitswesen unweigerlich in der Digitalisierung und in der Einbeziehung der Eigenverantwortung der Patienten in die Gesundheitsprozesse vorankommen. Ihr tut etwas Gutes für uns alle.» Seine Ermutigung half, unser Engagement für die Weiterentwicklung von Carity zu festigen.

Laut Swissmedic ist «Carity» ein Medizinprodukt der Klasse I. Was bedeutet das?

Die Einstufung als Medizinprodukt der Klasse I durch Swissmedic steht in erster Linie für das Bekenntnis von Carity zur medizinischen Sicherheit. Jede Funktion in Carity wird gemäss ISO 13485 entwickelt, einem Standard für Medizinprodukte mit Software. Dabei wird jede Funktion mit einem defensiven Ansatz evaluiert, der stets fragt: «Was könnte schiefgehen?» Dazu gehört auch, dass vor jeder Softwarefreigabe mehrere Usability-Studien durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass die Benutzerfreundlichkeit und die Sicherheitsmassnahmen des Produkts den hohen Erwartungen entsprechen. Diese Klassifizierung gibt Gesundheitsdienstleistern und Patienten die Gewissheit, dass Carity ein sicheres und zuverlässiges Tool in der kardiologischen Rehabilitation ist.

Inwiefern unterscheidet es sich von einer Fitness-App?

Diese Frage passt gut zum vorherigen Thema. Anders als eine Fitness-App hat Carity als Medizinprodukt einen klar definierten Verwendungszweck und eine spezifische Zielpopulation – ähnlich wie der detaillierte Zweck, der für jedes Medizinprodukt festgelegt ist, wie die Kleingedruckten auf einem Beipackzettel. Dieser Verwendungszweck bestimmt das Design und die Funktionalität von Carity; unser UX-Design, das Risikomanagement und die klinischen Studien – einschliesslich der laufenden Carity-P-Studie – sind alle darauf ausgelegt, spezifische klinische Ergebnisse für die kardiologische Rehabilitation zu erzielen.

Da ein erheblicher Teil unserer Patienten 65 Jahre und älter ist, optimieren wir zum Beispiel die Benutzerfreundlichkeit der App für diese Zielgruppe. Ebenso passen wir die PDF-Berichte an die spezifischen Rollen und Bedürfnisse der Mitglieder des Betreuungsteams an, um den Standardversorgungspraktiken gerecht zu werden. Solche Überlegungen sind bei einer Fitness-App normalerweise nicht erforderlich, da ihr Schwerpunkt eher auf allgemeinem Wohlbefinden als auf medizinisch geführter Rehabilitation liegt.

Carity ist seit dem Frühjahr 2024 im Future of Health Grant (FoHG)-Programm von CSS und dem EPFL Innovation Park. Anschliessend werden Sie ein Pilotprojekt mit der CSS machen, welches Anfang 2025 startet. Worum geht es dabei?

Es ist von unschätzbarem Wert, CSS als Partner zu haben, da wir ein gemeinsames Ziel teilen: eine erweiterte Patientenversorgung, um das Risiko von Rehospitalisierungen zu verringern. Indem wir die Patienten dazu ermutigen, über einen längeren Zeitraum aktiv zu bleiben, tragen wir dazu bei, kostspielige Eingriffe zu vermeiden, was sowohl dem Patienten als auch dem Versicherer zugutekommt. Während die Gesundheitsökonomie jede Start-up-Versicherungs-Partnerschaft rechtfertigt, geht das Future of Health Grant (FoHG)-Programm über diese Zusammenarbeit hinaus. Dabei arbeiten wir eng mit CSS und ihrem Netzwerk zusammen, gewinnen Einblicke und beeinflussen sogar die Versorgungsprozesse für unsere Patienten. Konkret werden wir mit den Gesundheitscoaches von CSS zusammenarbeiten, um sie in Carity einzuarbeiten, damit sie die Carity-Patienten während der dritten Phase der kardiologischen Rehabilitation unterstützen können. Das Feedback der CSS-Coaches wird uns hoffentlich dabei helfen, Carity weiter zu verfeinern und zu verbessern.

Wie weit sind Sie mit der klinischen Prüfung?

Wir sind derzeit zehn Monate in der Studie und planen, im Frühjahr 2025 den ersten Meilenstein der Datenanalyse zu erreichen und die Studie später im Jahr abzuschliessen. Auch wenn dieses Tempo in der Softwarewelt langsam erscheinen mag, ist es im medizinischen Bereich durchaus üblich. Glücklicherweise arbeiten wir bereits mit drei grossen Spitälern zusammen – dem Universitätsspital Zürich (USZ) und den Kantonsspitälern St. Gallen und Luzern – was die Rekrutierungsrate unserer Patienten beschleunigt.

Ab wann denken Sie, dass Sie mit der App Geld verdienen werden?

Wir erwarten, im Q1 2025 erste Umsätze zu generieren, mit einem schrittweisen Hochlauf. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die App selbst lediglich ein Werkzeug ist – unser Hauptziel ist es, den Patienten einen umfassenden Service zu bieten.

Was ist das Ziel der Carity-App?

Das ultimative Ziel von Carity ist die Reduzierung von Sekundärfällen in der Kardiologie. Dieses übergeordnete Ziel lässt sich in spezifische Ziele für Patienten und Gesundheitsdienstleister (HCPs) unterteilen.

Für Patienten:

  • Vertrauen in die Herzgesundheit zu gewinnen,
  • Eine positive Einstellung zu bewahren und
  • Gesunde Aktivitätsniveaus langfristig aufrechtzuerhalten.

Für Gesundheitsdienstleister:

  • Rechtzeitig über notwendige Anpassungen der Betreuung informiert zu werden,
  • Einen klaren Einblick in den Fortschritt der Patienten ausserhalb der Klinik zu erhalten, ohne mit zusätzlichen Daten überlastet zu werden, und
  • Patienten zu einem stabilen, selbsttragenden Gesundheitszustand zu führen.
Schliesslich noch dies: Die App kann man 12 Wochen gratis benutzen, danach ist sie zahlungspflichtig. Wieviel kostet sie?

Wir bieten ein 12-wöchiges Carity-Programm für jeden Patienten an, der einen Onboarding-Code von einer teilnehmenden Klinik erhält. Dieser Zeitraum entspricht einer typischen Phase-2-Ambulanzkardiorehabilitation. Die Patienten können dann wählen, ob sie das Programm auf insgesamt 52 Wochen für 510 CHF verlängern möchten. In unserer Einführungsphase gewähren wir Patienten, die bereit sind, ihre anonymisierten Daten für Forschungszwecke zu teilen, erhebliche Rabatte. Ich freue mich auch, ankündigen zu können, dass Carity jetzt im myFlex-Ambulanzversicherungsplan der CSS enthalten ist.

Langfristig sammeln wir gesundheitsökonomische Daten, um unseren Antrag bei der Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf Erstattung über die Standardversicherung zu unterstützen. Vorläufige Daten zeigen, dass Carity durch die Reduzierung des Rehospitalisierungsrisikos pro Patient etwa 1.500 bis 2.500 CHF einsparen könnte.

Aliaksei Tsitovich: Softwareingenieur aus Leidenschaft und Ausbildung. In seiner Doktorarbeit konzentrierte er sich auf Themen der theoretischen Informatik, während seine umfangreiche Industrieerfahrung stark praxisorientiert war – insbesondere in den Bereichen MedTech, digitale Gesundheit und Patient Journeys. In den letzten 15 Jahren arbeitete er für Sonova, BrightInsight und Carity an Cloud-Plattformen und SaMD-Produkten über alle Sicherheitsklassen hinweg. Seine Expertise umfasst verschiedene Gesundheitsbereiche wie Hörgesundheit, Diabetes, Augengesundheit und aktuell Kardiologie.

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