Corona-Pandemie und die Schweiz: Wo bleibt das Risikomanagement?

2. November 2020 | Aktuell

Die ganze Erde leidet unter der zweiten, heftigen Corona-Welle, die Massnahmen der betroffenen Länder sind höchst unterschiedlich, doch taumeln sie in Europa zwischen Lockdown und Lockdown light. Mittendrin die Schweiz. Was hat unsere Regierung aus dem ersten Herunterfahren Anfang Jahr und im Frühling gelernt? Zeit sich über ein geeignetes Risikomanangement klar zu werden, hatten sie den ganzen Sommer hindurch. Nur: Wo bleibt das Resultat, wurde es verschlafen – der böse Verdacht drängt sich leider auf.

Es werden, Stand heute, täglich 30’000 Corona-Tests vorgenommen. 50‘000 Schnelltests sollen dazukommen. Damit könnte die Schweiz innert 100 Tagen theoretisch vollständig durchgetestet werden. Doch wo bleibt das verbindliche Konzept der praktischen Umsetzung? Was sind die Prioritäten? Sollte zunächst in Alters- und Pflegeheimen getestet werden, ein aussagekräftiger Querschnitt der Bevölkerung, oder ist es nicht genauso wichtig die Wirtschaft zumindest gleichzeitig abzudecken?

Der Bund schickt seinem Schatten gleich mehrmals die Woche eigene Experten im Presseraum des Bundeshauses vor Journalisten, schiebt formell die Verantwortung zum grossen Teil an die Kantone mit ihren Vorstellungen, die untereinander unterschiedlicher nicht sein können und vertröstet selber durch die Aussage «man müsse abwarten und beobachten».  

Worauf die Wirtschaft pochen müsste 

COVID-19 hat für Unternehmen erhebliche personelle, soziale und damit einschneidende wirtschaftliche Auswirkungen. Krisenpläne hätten im Sommer von Bund und Firmen erstellt werden sollen. Um die Kontinuität in Betrieben zu gewährleisten, ist eine umfassende Analyse und das Verständnis der Risiken, Schwächen und Kausalzusammenhänge Voraussetzung. Notfallpläne mussten erstellt werden, um Liquidität, Kapitalreserven und betriebliche Kennzahlen der Betriebe zu erhalten, was jedoch längst nicht überall der Fall war. 

Die Fortentwicklung der Corona-Pandemie unterliegt sowohl in medizinischer als auch in organisatorischer Hinsicht einem sehr dynamischen Veränderungsprozess. Bundesrat und Behörden verstecken sich dabei, so hat es zumindest den Anschein, unter dem Motto: «Nichts Genaues weiss man nicht». Die Schweiz wurde so zum Hotspot ganz Europas.

Unabdingbar: Neue Wege beim Risikomanagement 

Werktäglich werden die steigenden Fallzahlen kommuniziert, äussert vorsichtig, da neben den direkt spürbaren wirtschaftlichen Konsequenzen die persönlichen Aspekte der Menschen (Ängste, Wünsche und Bedürfnisse) eine zunehmend belastende Rolle spielen. Doch Angst ist ein denkbar schlechter Ratgeber. Notwendig und zum Schutze aller Beteiligten ist ein achtsamer und wertschätzender Umgang der Unternehmen mit ihren Mitarbeitenden, Kunden und Stakeholdern. Oft fehlt es im Risikomanagement heutzutage an einer vorausschauenden Risikokultur. Da Risikomanager nur begrenzt auf bisherige Erfahrungen und bewährte Massnahmen zur Risikosteuerung zurückgreifen können, müssen neue Wege beschritten werden. 

Die Handelszeitung Insurance zitierte dazu den «European Risk Manager Report 2020» der Federation of European Risk Management Association, wo an oberster Stelle der Sorgenrangliste ökonomische Schäden zu finden waren. Die Erhebung erfasst auch dreissig Teilnehmer aus der Schweiz, sie erscheint jährlich in 34 Ländern. Risikomanager der Versicherungen strichen insbesondere den hohen Wettbewerbsdruck im Unternehmensgeschäft heraus. Als neues Risikopaket im Vergleich zu den vorhergehenden Studien sei 2020 erstmals das Thema der Verfügbarkeit gewisser Spezialkompetenzen aufgetaucht. Dies akzentuiere sich besonders im Zusammenhang mit der Einführung neuer Technologien oder Arbeitsmodelle.

Bundesrat und Massnahmegruppe benötigen dringend Verstärkung aus dem Risikomanagement

Dass es Massnahmen braucht, ist ausser Frage, doch fehlen genügend kreative Wege, die sich im Sommer zwar aufgedrängt, aber mit Sicherheit auch Geld gekostet hätten. Geld jedoch, dass gut investiert worden wäre. So funktioniert Risikomanagement nun einmal unbestrittenermassen.

In die Massnahmegruppe des BAG gehört zwingend eine Versicherungsfachfrau oder ein Versicherungsfachmann. Zudem zwängt sich von jeder Katastrophenmeldung zur anderen ernsthaft die Frage auf, ob es richtig ist, dass die Pandemie-Koordination im BAG und dem Departement des Inneren von Alain Bersetz überhaupt am richtigen Ort angesiedelt ist. Der vom Bundesrat als Schutz plötzlich beschworene berühmte Schweizer Föderalismus ist gegenwärtig dabei, sich selbst zu zerstören. Die Krise ist bedrohlich seien Sie versichert.

Binci Heeb

Schweizer Corona-Risikomanagement oder Abwarten und Tee trinken? 

Ein Kurzkommentar von Bruno Kopp (Eidg. dipl. Versicherungsfach-Experte, Broker-Unternehmer)

Ganz Europa hat seine Aufgaben im Risiko Management nicht gemacht! Was Ende vergangene Woche unter dem Titel «Agir, enfin…» als Editorial im Figaro Paris stand, gilt 1:1 auch für die Schweiz.

Ja, wir haben bald 50’000 Schnelltests pro Tag plus 30’000 normale Tests. Damit kann man unser ganzes Land in 100 Tagen durchtesten. Doch wo ist das Konzept, wie man die Tests umgehend einsetzen soll? Was sind die Prioritäten? Altersheime, Risikogruppen oder steht die Wirtschaft vor der Volksgesundheit? 

Dass es jetzt sofort eine klare Strategie braucht, ist ausser Frage. Doch fehlen die kreativen Massnahmen und jene die sich im Sommer aufgedrängt hätten und zugegebenermassen halt auch Geld kosten. So sind die unabdingbaren Voraussetzungen des Risiko-Management nun einmal und jeder Vertreter der Versicherungsbranche ist damit vertraut.  

Das BAG bzw. die «Massnahmengruppe» wäre gut beraten, eine Versicherungsfachfrau oder einen Versicherungsfachmann im Team zu haben. Ausserdem stelle ich die Frage ob es richtig ist, die Pandemie-Koordination weiter im BAG und Departement Berset anzusiedeln.  

Bruno Kopp


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