Pilotprojekt für die Entwicklung eines neuartigen Tarifsystems in Spitälern
29. Oktober 2021 | AktuellMit dem Pilotprojekt «Patient Empowerment Initiative» entwickeln das Universitätsspital Basel USB und das Kantonsspital Winterthur KSW gemeinsam mit den Krankenversicherern CSS und SWICA sowie dem Prüfungs- und Beratungsunternehmen PwC Schweiz ein neuartiges Tarifsystem.
Das neue Tarifsystem soll auf die Behandlungsqualität und den Patientennutzen fokussieren. Dabei soll nicht die Zahl der Eingriffe, sondern die Zufriedenheit der Patiente*innen entscheiden, wie viel Geld die Spitäler von den Versicherungen erhalten. Indem die Patient*innen mehr Einfluss in der Entscheidungsfindung haben, also auch darüber mitentscheiden, ob eine Operation nötig ist, könnten solche Eingriffe möglicherweise reduziert werden.
Mit der Kooperation zwischen den vier Institutionen wird beabsichtigt, den Mengenwettbewerb im schweizerischen Gesundheitswesen einzudämmen und die Patient*innen mehr ins Zentrum der Leistungserbringung zu rücken. Dazu soll die zwischen Spital und Versicherer verhandelte Baserate (Basisrate für stationäre Behandlungen in einem bestimmten Spital) mit einem Qualitäts- und einem Mengenfaktor ergänzt werden.
Mehr Gewicht auf Patientenbedürfnisse
Mittels Befragungen, welche sich stark am subjektiven Gesundheitszustand und der Lebensqualität der Patient*innen orientieren, wird die Behandlungsqualität erhoben. Zur Verhinderung von Über- und Fehlversorgung koppelt das «adaptierte Tarifsystem» neu die Qualität an die Vergütung. Durch die gemeinsamen Behandlungsentscheide soll vermehrt auf die individuellen Patientenbedürfnisse und die Indikationsstellung fokussiert werden. Gemeinsame Behandlungsentscheide ermöglichen es, auf individuelle Bedürfnisse einzugehen. Eine geringere Behandlungsmenge und weniger Komplikationen ermöglichen in der Folge, so hoffen die Beteiligten, Kosteneinsparungen.
Niederländische Idee: Basler und Winterthurer Value Based Healthcare-Ansatz
Das Beratungsunternehmen PwC Schweiz entwickelte bereits das Projekt «DREAM» in den Niederlanden. Es basiert auf der ähnlichen Idee qualitativ bessere Behandlungen zu tieferen Kosten zu bieten. Zudem weist es vergleichbare Prinzipien auf, die auf besserer Qualität und tieferen Kosten in der Zusammenarbeit zwischen Spitälern und Versicherern basieren. Darüber hinaus sollen die Qualitätsverbesserungen patientenorientiert sein. Diese Patientenorientiertheit sollte in der Struktur des Spitals eingebettet sein und die Anreizstrukturen sich von der Menge zur Qualität verschieben.
Zwei Jahre lang adaptierten die beteiligten Partner das Konzept auf das Schweizer Gesundheitssystem. Als führende Spitäler im Value Based Healthcare-Ansatz starten das USB und das KSW im Januar 2022 die Pilotphase mit den zwei Krankheitsgruppen Gelenkarthrosen und Prostatakarzinom. Erste Aussagen zur Qualitätsverbesserung und finanziellen Wirksamkeit sollen 2023 vorliegen. Eine Anpassung des Tarifmechanismus könnte 2024 erfolgen.
Welche Einsparungen sind möglich?
«Grundsätzlich kann man aktuell noch keine qualifizierten Aussagen zur Auswirkung der Patient Empowerment Initiative machen, bevor Resultate aus den Arbeiten vorliegen», sagt Paul Sailer, zuständiger Berater bei PwC. Allerdings stütze sich das Konzept der Value Based Healthcare nach Porter und Teilberg (Reinventing Healthcare, 2006) auf dem Prinzip, dass ein auf Qualität incentiviertes Gesundheitswesen insgesamt die Kosten verringere. Diesen Beweis möchte das Projekt nun erbringen.
Chancen für das Pilotprojekt
Gemäss Paul Sailer wird das Gesundheitssystem mittelfristig einen immer stärkeren Fokus auf Qualität haben. Mit den neuen Bestimmungen im KVG ist, neben der Einsetzung einer Eidgenössischen Qualitätskommission EQK für die Institutionalisierung der Qualitätsentwicklung im Gesundheitssystem, auch ein sogenannter Experimentierartikel erlassen worden. Dieser lässt Pilotprojekte zur Qualitätsentwicklung und Eindämmung der Kostenentwicklung zu. «Solche bewilligte Projekte dürfen von Bestimmungen des KVG’s abweichen, um beispielsweise auch innovative Finanzierungsmechanismen testen zu können», so Sailer.
Die Patient Empowerment Initiative kombiniere dieses Bestreben mit dem Ansatz, Vergütung an Outcome Qualität zu koppeln und möchte ein Lösungsansatz für die sinnvolle Weiterentwicklung des Schweizer Gesundheitswesens leisten, führt Sailer weiter aus. In diesem Sinne solle mit der Initiative der Beweis erbracht werden, dass mit einer Behebung der bestehenden Fehlanreize eine solche Weiterentwicklung möglich sei. Die Initiative steht weiteren interessierten Partnern offen. «Sollten die Ergebnisse derart positiv ausfallen wie wir es uns gehofft, wäre aber vermutlich eher eine Systemänderung unter Berücksichtigung der Erkenntnisse anzustreben als die Organisation in einer Initiative weiterzuführen».
Ob das Pilotprojekt mit dem Value Based Healthcare-Ansatz in Zukunft zum Standard für alle Spitäler und Kassen wird, lässt sich noch nicht sagen. Noch sind eine hohe Anzahl Operationen in Spitälern die lukrativste Lösung.
Binci Heeb