Ärger über die «Zetteliwirtschaft» bekannter Versicherer

23. Juli 2021 | Aktuell

Die allermeisten Versicherer verschicken separate Rechnungen für jede einzelne Leistung. Das bedeutet monatlich oft gleich mehrere, separate Rechnungen innerhalb eines Monats für beispielsweise Medikamentenbezüge über ein und dieselbe Apotheke. Die Beträge sind nicht selten im einstelligen Bereich. Wo bleiben hier  Kundenfreundlichkeit und Vernunft?

Wer ohne bar zu zahlen rezeptpflichtige Medikamente in der Apotheke beziehen möchte, weist dafür seine Krankenkassenkarte vor. Alle Medikamente und Corona-Tests, welche durch die Grundversicherung übernommen werden, rechnet die Apotheke mit dem Krankenversicherer in den meisten Fällen direkt ab. Nur noch wenige Zusatz-Versicherungen verlangen von ihrer Kundschaft, selbst in Vorkasse zu gehen und die Quittung an den Krankenversicherer zur Abrechnung weiter zu leiten.

Die Realität sieht überwiegend anders aus. Vom Rechnungsbetrag zieht die Krankenkasse jährlich immer so lange die Kostenbeteiligungen (Jahresfranchise und Selbstbehalt) ab, bis diese komplett bezahlt sind. Ist der Rechnungsbetrag kleiner als die Jahresfranchise, erfolgt jedoch keine Rückerstattung. Generell wird immer zwischen zwei Arten unterschieden, wie Leistungsbringende (Arztpraxis, Spital, Apotheke, Therapeut*in, etc.) vorgehen. Die Rechnung ist an die oder den Versicherte*n (Tiers garant) adressiert, die oder der diese zur Rückerstattung an den Versicherer schickt und der den Betrag, abzüglich der Kostenbeteiligung, zahlt. Oder, heute vorwiegend Praxis, die Faktura geht direkt an den Versicherer (Tiers payant). Der oder die Versicherte erhält anschliessend die Leistungsabrechnung und sieht die Höhe seiner Kostenbeteiligung.

Rechnungen im Streuverfahren alles andere als kundenfreundlich

Einige grosse Versicherer, darunter CSS mit 1,6 Millionen Versicherten oder Visana mit 838 000 Kund*innen, schicken ihren Versicherungsnehmer*innen für jeden Arztbesuch, jede Physiotherapie, jeden Apothekenbesuch (bei welchem rezeptpflichtige Medikamente bezogen wurden) oder bei jedem Corona-Test eine separate Rechnung über den vom Versicherten zu bezahlenden Restbetrag. Da kommen, gerade bei chronischen Krankheiten, in kürzester Zeit ganze Papierberge oder Massenmails zusammen. Zahlt man zudem die Krankenkasse-Prämie monatlich, kommt sogar eine zusätzliche Einzelposition hinzu. Darunter können auch etliche Rechnungen über Kleinstbeträge im jeweils einstelligen Bereich separat im Posteingang landen. Die belasteten Selbstkosten sind dabei oft sehr gering. thebroker liegen einzelne Rechnungen vor, die meisten davon jeweils über zwei A4-Seiten lang und mit Rechnungsbeträgen in der Höhe zwischen 5.-, 17.- und 23.- Franken innerhalb eines Kalendermonats. Der Verwaltungsaufwand, die Kosten und Umständen auf beiden Vertragsseiten liegen hier deutlich über den immer einzeln, an unterschiedlichen Daten verschickten Rechnungen. Eine wirtschaftlich unsinnige «Zetteliwirtschaft» welche ganz und gar nicht der stets propagierten Kundenfreundlichkeit und einem vernünftigen Kosten-Nutzen-Verhältnis entspricht .

 Vorwand: «Rückerstattung so schnell wie möglich begleichen»

Die CSS erklärt auf Anfrage, dass die versicherte Person grundsätzlich rezeptpflichtige Medikamente in der Apotheke bezieht und dafür die Krankenkassenkarte vorweist. Gemäss Vertrag zwischen dem Krankenversicherer und den Apotheken gelte das System des Tiers Payant, wonach die Apotheke alle drei Monate direkt mit dem Krankenversicherer abrechnet. Können die Kund*innen die Karte nicht vorweisen, müsse das Medikament selbst bezahlt und die Quittung zur Rückerstattung eingereicht werden (Tiers Garant). Wie oft Kund*innen diese Quittungen zur Rückerstattung einreichen, also unnötig in Vorkasse gehen, sei eine persönliche Entscheidung. Man könne die Belege sammeln und diese alle drei Monate oder halbjährlich einreichen. Sabine Betschart, Mediensprecherin der CSS sagt dazu: «Aus Kundensicht ist die Erwartung an uns Krankenversicherer, dass wir so schnell wie möglich die Rückerstattung begleichen». Diese erfolgen der Regel sieben Tage nach Eingang des Rückforderungsbeleges. 

Klingt zu gut: Denn dieses Vorgehen entspricht bekanntlich keinesfalls der Regel. Der Apothekenbesucher erledigt den Medikamenten-Bezug im überwiegenden Fall mit seiner Versicherungskarte.

«Monatliche Abrechnungen mache wenig Sinn» ?

Auf Anfrage erklärt Visana, dass ihre Kundenbefragung zeigen würde, dass den Visana-Versicherten verständliche und transparente Abrechnungen und nicht zuletzt eine rasche Abwicklung sehr wichtig seien. Rechnungsabwicklung- und prüfung erfolgten beim Versicherer mehrheitlich elektronisch und automatisiert. Versicherte erhielten innert zehn Tagen nach Rechnungseingang eine Abrechnung oder das Geld. Dies treffe auch beim Medikamentenbezug zu. «Eine monatliche Abrechnung macht aus Sicht von Visana wenig Sinn, haben doch alle Beteiligten das Bedürfnis, die ihnen zustehenden Abrechnungen und Vergütungen möglichst zeitnah zu erhalten», sagt Visana-Mediensprecher François Furer. 

Stimmt so nicht, sagt der Geschäftsführer einer bekannten Basler Apotheke (Name der Redaktion bekannt): «Auch für uns ist die «Zetteliwirtschaft» ein Aufwand, der Ärger bedeutet». Eine einzige Zusammenfassung pro Kunde und Versicherung monatlich, oder sogar vierteljährlich wäre ihm und seiner gesamtschweizerisch operierenden Gruppe wesentlich lieber. Privat habe er selbst das Problem gelöst und zu einer in dieser Sache «vernünftigen» Versicherung gewechselt.

Es geht auch anders

Wie unkompliziert es tatsächlich funktionieren kann, zeigt beispielsweise die Groupe Mutuel. Schon immer stellt dieser Versicherer nur monatlich Rechnung. Im Rahmen des Zahlungssystems Tiers-Payant senden die Leistungsbringenden ihre Rechnungen direkt an die Versicherung, welche diese bezahlt. «Nachdem die Zahlungen ebenfalls direkt an die Leistungserbringer geleistet wurden, stellt der Versicherer seinen Versicherten am Ende des Monats die vertraglichen Beiträge, wie Selbstbeteiligung und/oder Selbstbehalt, in Rechnung», sagt Serkan Isik, Leiter Medienkommunikation Deutschschweiz bei Groupe Mutuel gegenüber thebroker.

Apotheken: Keine Kompensation des erheblichen administrativen Aufwands durch schnelleren Zahlungseingang

Dem schweizerischen Apothekerverband pharmaSuisse zufolge ist der administrative Aufwand in der Tat erheblich. «Vieles spricht dafür, hier möglichst rasch eine Lösung zu finden, die transparent und einfach handzuhaben ist», so ein Sprecher von pharmaSuisse. Da die Leistungen, die Apotheken gegenüber den Krankenversicherungen verrechnen, grundsätzlich elektronisch erfasst werden, bringt die Art einer zusammengefassten Verrechnung für die Apotheker*innen und ihre Kund*innen somit keinen Nachteil – ganz im Gegenteil. 

Binci Heeb


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