Autonomes Fahren: Reaktionen der Versicherungen auf die Digitalisierung im Strassenverkehr

17. Juni 2022 | Aktuell Allgemein
Autonomes Fahren: Reaktionen der Versicherungen auf die Digitalisierung im Strassenverkehr
Autonomes Fahren: Reaktionen der Versicherungen auf die Digitalisierung im Strassenverkehr

Im Artikel «CarPlay: Wie Apple die Kontrolle im Auto übernehmen will» hat thebroker.ch aufgezeigt, welche Neuerungen durch Apples neues Digitalangebot CarPlay auf die Automobilist*innen zukommen.  Unser Online-Fachmagazin hat mehrere namhafte Versicherungsunternehmen angefragt, wie sie mit solcher Technik, autonomen Fahren und dem Sammeln der dabei anfallenden Daten umgehen wollen.

Ob Apple oder Android, immer mehr Technologiekonzerne widmen sich dem Thema der Digitalisierung des Fahrzeugs. Automobilist*innen können in ihren Autos stetig mehr Informationen ablesen und damit zum Beispiel durch Wortbefehle sogar das eigentliche Lenken der Technik überlassen. Ob die Augen damit genügend dem realen Geschehen auf der Strasse statt dem Armaturenbrett gehören, ist fraglich. Natürlich auch wenn eine Hand beim autonomen Fahren, wie heute vorgeschrieben, tatsächlich am Lenkrad bleibt.

«CarPlay2», autonomes Fahren, digitale Daten der Versicherungsnehmer: Sind die Gesellschaften vorbereitet?

Das von Apple angekündigte «CarPlay2» bring noch wenig weitere direkte Einflüsse auf die Selbstfahrtechnologie der Motorfahrzeuge. Versicherungen reagieren deshalb eher gelassen auf die neuen Ankündigungen aus Cupertino wie eine Umfrage von thebroker.ch zeigt. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die massive Zunahme von lenkerbezogenen Informationen während der Fahrt gewichtiges Ablenkungspotential bedeutet. Doch hier die Antworten der kontaktierten Versicherer zu den jeweils einzelnen Fragen.  

Welche Rolle spielen abrufbare digitalen Informationen über Fahrer und deren Verkehrsverhalte?  

Versicherer Generali Schweiz beobachtet diese Trends, setzt aber zurzeit keine Systeme wie «Pay as you drive», welche die ereignisunabhängige personenbezogenen Nutzungsdaten verwendet, ein. Auch die Allianz Suisse bietet derzeit keine PAYD-Policen an, damit ist die entsprechende Datenspeicherung noch kein Thema. 

Anders bei Simpego, die grundsätzlich nur sammeln, was genau mit dem Kunden vereinbart und kommuniziert wird. In diesem Zusammenhang arbeitet der Versicherer bei PAYD mit externen Partnern zusammen, die als Daten-Hub agieren. Der Kunde vertraut seine digitalen Mobilitätsdaten diesen Stellen an, welche sie ausschliesslich auf seine Weisung verwalten und nur präzis vereinbarte Informationen mit dem Versicherer teilen. Beispielsweise die Menge der gefahrenen Kilometer pro Monat oder der Monatsscore des Fahrverhaltens. Was zwischen Daten-Hub und Versicherer in welcher Kadenz ausgetauscht wird, ist integrierter Teil des Versicherungsvertrags und wird in diesem von beiden Seiten verbindlich festgehalten.

AXA Schweiz bietet keine PAYD-Produkte an. Dementsprechend sammeln sie auch keine generellen Fahrdaten. Ihr Fokus liegt auf der Prävention sowie der Unfallrekonstruktion, hier allerdings durchaus mittels Daten durch deren Analyse ein Unfallhergang und damit Schuld oder Unschuld involvierter Versicherungsnehmer bewiesen werden. Dazu werden Daten von einem Crashrecorder oder direkt aus dem Auto verwendet. Die Selektion der auslesbaren Informationen beschränkt sich somit noch explizit ausschliesslich auf die Klärung der Unfallsituation.

Die Helvetia selbst bietet aktuell ebenfalls noch keine PAYD-Produkte bei der Motorfahrzeugversicherung an. Auch der «Drive Coach» von ihrer Tochter Smile ist kein PAYD-Service und ohne Auswirkung auf die Prämienhöhe. Der Drive Coach verfolgt einen Gamifications-Ansatz und belohnt die Nutzerinnen und Nutzer mit Bezug zur Fahrsicherheit. Helvetia betont gegenüber thebroker.ch keine Bewegungs- oder Verhaltensdaten auf Vorrat zu sammeln.

Zurich Schweiz wiederum arbeitet mit autoSense zusammen, einem Service-Portal für Echtzeit-Informationen und Services rund ums Autofahren, an dem der grosse Versicherer selbst beteiligt ist. Zurich bietet all ihren Kundinnen und Kunden kostenlos einen Adapter von autoSense an. Mit dem so genannten driveScore können autoSense-Nutzerinnen und -Nutzer schauen, wie sich ihr Fahrstil über die Zeit entwickelt, einen Vergleich mit der autoSense-Community vornehmem und Informationen abrufen, wie sie besser sowie effizienter unterwegs sein könnten. Die Fahrkilometer werden bei Zurich über den autoSense-Adapter berechnet. 

Nutzen Zurich-Kundinnen und Kunden autoSense, können sie eine kilometerbasierte Autoversicherung abschliessen. Seit dem 4. April dieses Jahres bietet Zurich neben der klassischen Motorfahrzeugversicherung eine neue Autoversicherung mit dem Namen Zurich MyWay an. Versicherungsnehmer bezahlen eine monatliche Grundgebühr, danach nur die gefahrenen Kilometer und haben jederzeit die volle Kostenkontrolle dank der geschützten autoSense-App. Sie können so die Deckung nach ihren Bedürfnissen anpassen. Zurich sammelt keine digitalen Informationen auf Vorrat, sondern nur die für die Prämienberechnung erforderlichen Angaben zu den mit dem Fahrzeug zurückgelegten Kilometer.

Was wird sich jetzt beim Nutzer des neuen CarPlay und den Angeboten seiner Mitbewerber ändern? 


Bei Helvetia direkt ist die alleinige Ankündigung von Apple aktuell kein Thema, Zurich will zu diesem Punkt keine Stellung nehmen.

Aus der Perspektive von Simpego ist grundsätzlich absehbar, dass sich CarPlay, AndroidAuto etc. generell weiterentwickeln werden und damit eine gewisse Öffnung der Fahrzeugdatenplattformen einhergehen wird.

Mit Apple CarPlay wird die Datenschnittstelle zwischen dem Auto und dem Handy der Kundinnen und Kunden weiter ausgebaut. Wie diese auf die verstärkte Freigabe von Daten reagieren, wird sich zeigen. AXA Schweiz stellt fest, dass die Akzeptanz umso höher ist, je weniger Daten gesammelt werden. Dementsprechend wird ihr Crashrecorder, der Daten nur im Falle eines Unfalls aufzeichnet, grundsätzlich gut akzeptiert.  

Die Entwicklungen im Fahrzeugmarkt werden laufend beobachtet und dank enger Zusammenarbeit mit internationalen Fahrzeugherstellern ist die Allianz als weltweit agierende Versicherungsgesellschaft bestens informiert. Die neue Generation des erwähnten Systems ist eine Erweiterung der bisherigen Infotainment-Anzeige bei ausgewählten Fahrzeugherstellern und einzelnen Modellen. Gemäss den aktuellsten Informationen werden alle nicht sicherheitsrelevanten Funktionen, welche bereits heute durch Sprachsteuerung der Hersteller gesteuert werden, übernommen. Aus versicherungstechnischer Sicht sieht Allianz demzufolge aktuell keinen unmittelbaren Handlungsbedarf, wie sie thebroker.ch mitteilt.

Die entscheidendste aller Fragen: Autonomes Fahren des Autos wie sehen es die Versicherungen?

Simpego erklärt: Derzeit ist im internationalen Strassenverkehrsrecht vorgeschrieben, dass der/die Fahrer*in das Fahrzeug gesetzlich bindend selbst beherrschen und bei Bedarf im autonomen Status jederzeit sofort eingreifen muss. Daher gilt er/sie weiterhin als alleiniger Lenker und eine Entlastung von den Pflichten und der Verantwortung ist damit noch nicht gegeben. Entsprechend haftet die Person hinter dem Steuer vorläufig weiter, wie bis anhin allein. Eine Versicherungsdeckung ist dieselbe, wie bei einem nicht teilautomatisierten Fahrzeug. Verletzt der/die Fahrer*in eine dieserPflichten (zum Beispiel Hand weg vom Steuer) kann dies gegebenenfalls zu einem Regress führen. 

Gerade diese Phase der Automatisierung von Fahrzeugen birgt gewisse Gefahren. Nicht jeder Mensch gefällt sich in der Rolle des dauernd konzentrierten Geräteüberwachers die aus seiner Sicht dank digitaler Automatisierung ohnehin «unnötig» wird. Erwartet man auf der einen Seite einen Rückgang der Schadenkosten aufgrund von Unterstützungssystemen, gibt es auf der anderen Seite auch einen gewissen Gegentrend durch die peripher angebrachte oftmals teure und komplexe Sensorik. Diese kann teilweise auch bei geringen Schäden zu teuren Folgekosten führen. «Welches teures Unterstützungssystem hätte je einen Steinschlagschaden in einer kamera-ausgerüsteten Frontscheibe verhindert», sagt Simpego. 

AXA Schweiz meint: Die technologischen Entwicklungen in der Automobilindustrie (zum Beispiel autonomes Fahren), aber auch das veränderte Mobilitätsverhalten der Bevölkerung werden einen grossen Einfluss auf die Autoversicherung der Zukunft haben. Das Wichtigste wird wie bis anhin sein, dass Opfer von Verkehrsunfällen rasch und unbürokratisch entschädigt werden. Klar ist, dass Axa Schweiz auch in Zukunft jedes Fahrzeug – ob selbstfahrend oder nicht – gegen die notwendigen Risiken versichern wollen.

Axa Schweiz geht davon aus, dass mit einem Anstieg an selbstfahrenden oder teilautonomen Fahrzeugen im Verkehr auch weniger und vor allem auch weniger schwere Unfälle geschehen werden. Heute wird nach wie vor ein Grossteil der Vorfälle durch den Lenker verursacht; für weniger als 10 Prozent aller Verkehrsunfälle sind technische Mängel die Ursache. Gemäss einer Studie der Abteilung Unfallforschung & Prävention der AXA reduziert sich das Risiko einer Auffahrkollision durch ein Auto mit Notbremsassistent bereits heute um rund 70 Prozent. Und trotz vielfältiger Einparkhilfen geschehen aktuell immer noch rund 40 Prozent aller Unfälle beim Parken und Manövrieren. Während verbesserte Fahrerassistenzsysteme und technologische Neuerungen also zu einer Reduktion der Unfallzahlen beitragen können, entstehen gleichzeitig neue Risiken, die aus heutiger Sicht noch nicht beziffert werden können, wie zum Beispiel das Zusammenspiel von selbstfahrenden Autos mit anderen Verkehrsteilnehmern, die Klärung der Schuldfrage, aber auch fehlerhafte Software oder Hackangriffe. Aktuell ist es zudem noch immer so, dass die zwar tiefere Schadenfrequenz durch höhere Reparaturkosten überkompensiert wird. 

Bei dieser Frage stehen für Helvetia vorwiegend die gesetzliche Grundlage für autonomes Fahren und die Haftungsfragen im Vordergrund. Aussagen dazu seien aktuell aber noch sehr spekulativ, da es wenige bis gar keine praktischen Erfahrungen in diesem Gebiet gibt. Die Haftungsfrage ist juristisch äusserst anspruchsvoll, da man zwischen einer Unternehmenshaftpflicht bei autonomem Fahren und einer klassischen Motorfahrzeughaftpflicht bei nicht-autonomem Fahren unterscheiden muss.

Die Zurich antwortet, dass autonomes Fahren gemäss Schweizerischem Strassenverkehrsgesetz nicht erlaubt ist. Automatisierte Betriebe von Fahrzeugen sind nur gestattet, sofern der Fahrer oder die Fahrerin zu jeder Zeit die Beherrschung über das Fahrzeug beibehält. Dabei darf das Lenkrad nicht losgelassen werden. Gemäss dem aktuellen Schweizer Recht gilt der Art. 31 SVG also immer noch als massgebende Rechtsgrundlage. Ein Fahren auf Stufe 3 ist momentan auf den Schweizer Strassen somit noch verboten. Auch wenn es einst so weit sein könnte, dass die Schweiz Stufe 3 ermöglicht, würde dies die Rechtslage nach Meinung von Zurich voraussichtlich nur begrenzt beeinflussen. Der Fahrzeugführer wäre dann vielleicht zwar vorübergehend nicht mehr verpflichtet, das Lenkrad zu halten, müsste aber dennoch wohl bereit sein, die Kontrolle über sein Fahrzeug wieder zu übernehmen, sobald das automatische System ihn dazu auffordert. Das Erfordernis der Wachsamkeit des Fahrers dürfte also immer bestehen bleiben. Massgebend werden die künftigen Gesetzesentwicklungen sein.

Als eine der weltweit führenden Versicherungsgesellschaften gestaltet die Allianz die Mobilität der Zukunft nach ihrer Aussage durch geeignete Produkt- und Servicelösungen sowie durch technologisches Know-how bereits heute in enger Kooperation mit der Automobilwirtschaft aktiv mit. Dafür haben sie schon vor einigen Jahren begonnen, auf globaler Ebene strategische Partnerschaften mit den relevanten Akteuren (zum Beispiel Autohersteller, Zulieferer, Mobilitätsanbieter) zu schliessen und bauen diese permanent weiter aus. Sie begleiten diese Zukunftsthemen also aus der ersten Reihe und werden entsprechende Versicherungslösungen zur Hand haben, sobald diese erforderlich sind. Die Allianz Suisse profitiert diesbezüglich von der weltweiten Expertise der Allianz Gruppe.

One more thing

Sämtliche, von thebroker.ch angefragten Versicherungsgesellschaften sind sich bewusst, auch vor dem Strassenverkehr macht die digitale Entwicklung bis hin zur künstlichen Intelligenz unaufhaltsam Boden gut. Wie und ob überhaupt noch beeinflussbar, steht in den Sternen und der Cloud. So hinken auch hier Mensch, Gesellschaft, Versicherungen und Gesetzgeber der atemberaubend schnellen Entwicklung bloss noch hinterher.  

Binci Heeb

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