Beben: Ständeratskommission für die Schaffung einer Erdbebenversicherung

13. November 2020 | Aktuell
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Endlich kommt Schwung ins Thema «Erdbebenversicherung». Die Ständeratskommission hat eine Motion eingereicht, die vom Bundesrat verlangt, eine Erdbebenversicherung zu prüfen. Sie schlägt vor, dass der Bundesrat eine «Schweizerische Erdbebenversicherung mittels Systems der Eventualversicherung» prüft.

Mitte Juni erinnerte thebroker daran, dass die enorme Gefahr eines Erdbebens jederzeit und überall besteht. Katastrophen halten sich weder an Drehbücher noch Terminpläne. Wie Covid-19 zeigt ist das Verdrängen von potentiellen Gefahren keine Lösung. Nur ungefähr fünf Prozent der Liegenschaften in der Nordwestschweiz sind gegen Erdbeben versichert. Wäre ein Beben so heftig wie jenes anno 1356 in Basel, würde dieses heute in der Region gemäss einer Studie der Swiss Re etwa zwei Millionen Menschen betreffen, der wirtschaftliche Schaden läge bei etwa 120 Milliarden Franken.

Erdbebenversicherung bei «Zürich», «Helvetia» und «RMS»

Über den solidarischen Erdbebenpool sind gesamtschweizerische zurzeit nur gut drei Milliarden Franken für Schäden versichert. Deshalb wird eine Erdbebenversicherung von «Zürich» auch nicht einzeln angeboten, sondern nur im Zusammenhang mit einer bei ihr abgeschlossenen Gebäudeversicherung. «Helvetia» deckt seit 2018 alle Gebäude und Objekte im Stockwerkeigentum bis zu einem Neuwert von fünf Millionen Franken, die von der BLKB durch eine Hypothek oder einen Baukredit mitfinanziert werden, automatisch gegen Erdbeben ab.

«RMS Erdbeben Risk (Lloyd’s)», von Risk Management Service AG, bietet privaten Haushalten, Unternehmen und öffentlichen Institutionen die Möglichkeit, sich gegen die wirtschaftlichen Folgen eines Erdbebens zu versichern. Dieser Versicherer nimmt nicht nur Gebäude in der Schweiz in Deckung, sondern auch im Ausland und verteilt so das Garantie-Risiko auf die ganze Welt.

Schäden mittels «Eventualversicherung» solidarisch tragen

Gemäss Ständeratskommission sollen die Schäden bei einem allfälligen schweren Erdbeben in der Schweiz solidarisch getragen werden. Sie ist der Meinung, dass ein schweres Erdbeben in der Schweiz, neben den Schäden an Leib und Leben, wirtschaftlich gravierende Folgen hätte. Die Parlamentsdienste teilten am 5. November 2020 mit, die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerats (Urek-S) wolle eine finanzielle Deckung der Schäden vorsorglich regeln. Die Kommission schlägt nun vor, der Bundesrat solle eine «Schweizerische Erdbebenversicherung mittels System der Eventualversicherung» prüfen. 

Im Falle eines schweren Erdbebens müssten dann alle Hauseigentümer der Schweiz eine einmalige Prämie bezahlen. Alternativ könnten auch alle Steuerpflichtigen in der Schweiz zur Zahlung eines Betrags verpflichtet werden. Infrage käme ebenfalls ein Stufensystem, das den zu bezahlenden Betrag davon abhängig macht, wie erdbebengerecht das eigene Haus gebaut ist oder wie erdbebengefährdet eine Region beurteilt wird. Die Eventualversicherung sei eine Alternative zu einer obligatorischen Versicherung auf Bundesebene, die im Parlament bisher chancenlos geblieben sei.

Wo liegen die Vorteile der angepeilten Kommissionslösung?

Der Vorteil des Vorschlags aus der kleinen Kammer sei, dass erst dann Beträge bezahlt werden müssten, wenn sich tatsächlich ein schweres Erdbeben ereignet, argumentierte die Mehrheit ihrer Kommission. Die Eventualversicherung sei damit eine Alternative zu einer obligatorischen Versicherung auf Bundesebene, welche im Parlament bisher chancenlos geblieben ist. Die Motion wurde knapp mit sieben zu sechs Stimmen beschlossen.

Swiss Insurance Broker Association SIBA findet Motion interessant

«Wie das mit der Eventualverpflichtung aussieht, kann ich ohne Details nicht beurteilen. Es ist sicher ein interessanter Ansatz, der die Diskussion befruchtet, denn seit vielen Jahren werden in Bundesbern regelmässig Vorstösse zum Thema Erdbebendeckung eingereicht und dann grandios versenkt», sagt SIBA-Präsident Markus Lehmann. Heute sei noch immer jeder Hausbesitzer selber verantwortlich für eine Erdbebendeckung, welche von vielen Versicherern in der Zwischenzeit auch angeboten werde. 

Ich persönlich halte den Solidaritätsgedanken als einen der wichtigsten Pfeiler unseres Landes.

Markus Lehmann, SIBA-Präsident

«Ich persönlich halte den Solidaritätsgedanken als einen der wichtigsten Pfeiler unseres Landes», so Markus Lehmann. Leider zeige sich immer mehr, dass Menschen die Gefahrensituation verdrängten. Das Thema der Schadens-Deckung eines potentiell schweren Erdbebens im grösseren Milliardenbereich, werde auf die Seite geschoben, weil die Eintrittswahrscheinlichkeit zu gering geschätzt würde. Wissenschaftliche Studien zeigten zwar, dass das Wallis und die Nordwestschweiz besonders gefährdet seien und schon höre die Solidarität auf. Die restlichen Kantone würden regelmässig aus falschem Sicherheitsdenken heraus eine Bundeslösung verhindern.

Erdbebengefährdungskarte ©ETH Zürich

Störend dabei sei besonders, dass andererseits die gesamte Schweiz für regionale Elementarschäden aufkommen müsse, obwohl auch hier nur einzelne Gebiete speziell stark gefährdet seien. Zum Beispiel durch Hochwasser, Lawinen oder Murgänge. Vielleicht verhelfe die Covid-19-Pandemie der «absterbenden Solidarität» zu einem Comeback, was sich positiv auf eine gemeinsam getragene Erdbebenlösung auswirken könnte. Markus Lehmann: «Aus Brokersicht sind wir natürlich sehr froh, dass es genügend Anbieter für Erdbebendeckung gibt, nur was passiert mit all denen, welche keine Deckung einkaufen und sich dann fahrlässig auf die Unterstützung durch die Allgemeinheit verlassen – ist das fair?»

Schweizerischer Versicherungsverband SVV noch unentschieden

Der SVV hat sich zu dieser Motion noch keine abschliessende Meinung gebildet. Ein Vorteil gegenüber einer obligatorischen Versicherungslösung sei die Tatsache, dass die Versicherten erst dann einen finanziellen Beitrag leisten müssten, wenn ein Schadenereignis einträte. Dadurch würde verhindert, dass die Versicherten jahrelang Prämien zahlen müssten und die Versicherungsleistung unter Umständen erst eine Generation später erfolgte. Diese Lösung berge jedoch einen Nachteil: Weil es keine Versicherung im herkömmlichen Sinne sei, bestehe für die Versicherten Unklarheit, unter welchen Bedingungen sie anspruchsberechtig seien und wie viel sie erhielten.

Auch eine allfällige Erdbebenversicherung kann nur funktionieren, wenn sie auf Solidarität setzt.

Sabine Alder, Mediensprecherin SVV

Der Solidaritätsgedanke sei die Basis der Versicherungswirtschaft: Versicherungslösungen bauten auf der Solidarität der Gemeinschaft mit dem Geschädigten. Auch eine allfällige Erdbebenversicherung könne nur funktionieren, wenn sie auf Solidarität setzte. Die Solidarität müsse sich dabei nicht nur auf die Versicherten beschränken, sondern könne durchaus auch zwischen den Versicherungen bestehen. Die Elementarschaden-Versicherung sei ein bewährtes Beispiel für diese doppelte Solidarität: Einerseits spiele die Solidarität zwischen den Versicherten und andererseits trügen auch die Versicherer im Rahmen des sogenannten Elementar-Schadenpools die Schäden solidarisch.

Risk Management Service RMS anderer Meinung

Ich habe grundsätzlich immer Mühe mit einem «Versicherungszwang», unter welchem Deckmantel die verpflichtende Solidarität auch daherkommt.

Bruno Kopp, Broker RMS

Letztlich sei es Sache jedes Einzelnen zu wissen, was ihm wieviel Wert sei. Die Kosten für eine Erdbebenversicherung seien für die Eigenheim-Besitzer gewöhnlich günstiger als eine Auto-Kaskoversicherung. Nicht nur das Gebäude unterstehe dem Erdbebenrisiko, auch dessen Inhalt gehöre dazu sowie die Unbenutzbarkeit des Standortes, weil die Infrastruktur (Strom, Wasser, Abwasser) nicht funktionierten oder die Liegenschaft nicht mehr zugänglich sei. Letztlich seien auch Betriebsunterbrüche möglich.

Alle diese Dinge würden vom Obligatorium nicht berührt, seien bei der RMS aber versicherbar. Dass es mit der Solidarität nicht so weit her sei, hätten Regierung und Parlament Basel-Stadt am 27.12.2017 bewiesen, als durch deren Broker mitgeteilt wurde, dass der Kanton auf die vorgängig mit grossem Aufwand ausgeschriebene Versicherung der Liegenschaften aus dem Finanzvermögen verzichtete. Grund: Es sei zu teuer. Die Versicherung des Verwaltungsvermögens, also Museen, Theater, Spitäler oder Infrastruktur wie Tram, Strom, Wasser und Gasleitungen, Brücken, Strassen etc. sei nie ein Thema gewesen. «Es nützt viel, wenn der Eigentümer des Einfamilienhäuschens zum Versicherungsschutz verpflichtet wird, aber vier Jahre warten muss, bis die Toilette wieder funktioniert, weil der Kanton zuerst das Geld zur Reparatur der Abwasserleitung zusammenkratzen muss», so Bruno Kopp.

Basel gehört gemäss den Forschern der ETH weltweit zu den zehn Städten mit dem höchsten Risiko, vergleichbar mit Los Angeles und San Franciso

Am 18. Oktober 1356, dem Lucetag, erschütterte die Stadt Basel das bis dahin stärkste je gemessene Erdbeben nördlich der Alpen. Die damals gefühlte Intensität betrug den Wert 10 auf der bis 12 reichenden Mercalliskala. Rein statistisch gesehen wiederholen sich Beben dieser extremen Berechnungen «nur» ca. alle 800 Jahre. Leider sind diese Berechnungen aber den Verursachern der Katastrophe, den tektonischen Erdbewegungen, nicht bekannt. So kann es auch durchaus einmal hundert Jahre später sein. Oder früher…

Binci Heeb


Tags: #Erdbebenversicherung #Eventualversicherung #Solidaritätsgedanke