Betriebsunterbrechungs-Versicherung bei Corona-Lockdown
5. Februar 2021 | AktuellIn Grossbritannien hat das Oberste Gericht im Januar 2021 bei der Frage des Corona bedingten Betriebsunterbruchs zugunsten der Versicherungsnehmer entschieden. Es entsprach substanziell den Beschwerden, welche die Financial Conduct Authority FCA (Verhaltensregulierungsbehörde) in ihrem Namen erhoben hatte.
Betroffen sind in England 370’000 Versicherungsnehmer, die bei 60 Assekuranzen versichert sind und Schäden wegen Betriebsunterbruchs anmelden mussten. Obwohl es schwierig ist, die genauen Kosten zu berechnen, wird nun mit mehreren Milliarden Pfund fälligen Versicherungsleistungen gerechnet, die an die betroffenen Firmen ausbezahlt werden müssen. Dazu zählen auch Unternehmen, die nur partiell betroffen waren oder noch immer sind.
Situation Schweiz
Am 12. März 2020 stuftedie WHO die Verbreitung des Coronavirus als Pandemie ein. Nur vier Tage später ordneteder Bundesrat die Situation in der Schweiz als «ausserordentliche Lage» gemäss Epidemiengesetz an, der erste Lockdown war da. Alle Läden, Restaurants, Bars, Schulen sowie Unterhaltungs- und Freizeitbetriebe wurden geschlossen. Offen blieben lediglich Verkaufsstellen für den täglichen Bedarf, wie Lebensmittelgeschäfte, Apotheken, Banken, Poststellen, Hotels, Kantinen, Kiosks, Bäckereien und Metzgereien. Homeoffice wurde empfohlen. Der Lockdown dauerte bis zum 11. Mai 2020.
Kantone und das Bundesparlament akzeptierten das Vorgehen der Landesregierung, wollten in Zukunft jedoch mitbestimmen. Am 4. November 2020 ging die Verordnung gegen Härtefallmassnahmen des Bundesrats in die Vernehmlassung. Zwölf Tage später erhöhte der Bund die finanzielle Härtefallunterstützung von 400 Millionen auf 1 Milliarde Franken. Seit dem 18. Dezember 2020 und vorläufig noch bis Ende Februar 2021 gelten erneut verschärfte Regelungen zu Covid-19, insbesondere für Restaurants sowie Kultur-, Sport- und Freizeitanlagen müssen geschlossen bleiben. Seit dem 18. Januar sind auch die meisten Verkaufsläden zu, zudem gilt eine Homeoffice als Pflicht. Allesamt Entscheide von wirtschaftlich existentieller Bedeutung für eine Vielzahl der Unternehmen. Die Versicherungen sehen sich da jedoch zunächst einmal nicht in der Pflicht.
Gastrosuisse, der grösste Arbeitgeberverband für Hotellerie und Gastronomie in der Schweiz, ist aufgrund verschiedener Gutachten der Überzeugung, dass selbst Epidemieversicherungen mit einem Pandemieausschluss infolge des Coronavirus sehr wohl eine Zahlungspflicht des Versicherers besteht. Insbesondere wird das vom Ombudsmann der Privatversicherung in Auftrag gegebene Gutachten von Professor Dr. Walter Fellmann hervorgehoben. Zu Beginn der Corona-Krise lehnten jedoch praktisch alle Versicherungen eine solche Leistungspflicht ab. Gastrosuisse nahm deshalb intensive Gespräche und Verhandlungen mit den Versicherungen auf. Wie der Verband auf Anfrage mitteilt, konnten grösstenteils positive Lösungen erzielt werden. Die meisten Versicherer haben den Betrieben in der Folge substanzielle und grundsätzlich zufriedenstellende Vergleichsangebote unterbreitet.
Vorgaben des Bundes zu den kantonalen Härtefall-Massnahmen
Ein Härtefall liegt vor, wenn der Jahresumsatz im Jahr 2020 weniger als 60 Prozent des Durchschnitts der Jahre 2018 und 2019 beträgt. Eine Unterstützung setzt ausserdem voraus, dass die Unternehmen vor 2020 profitabel waren und nach Ausbruch der Pandemie nicht bereits andere Finanzhilfen des Bundes – ausgenommen Kurzarbeits- und Erwerbsausfallentschädigungen – erhalten haben. Bund, Kantone oder Gemeinden dürfen dabei insgesamt nicht zu mehr als 10 Prozent am Kapital des Unternehmens beteiligt sein.
Darlehen, Bürgschaften oder Garantien beschränken sich auf höchstens 25 Prozent des Jahresumsatzes 2019 eines Unternehmens im Jahr 2019 und auf maximal zehn Millionen Franken; ihre Laufzeit ist auf längstens zehn Jahre befristet. Für diese Kredite bürgt der Kanton zu 80 Prozent. À-fonds-perdu-Beiträge belaufen sich pro Unternehmen auf höchstens zehn Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes 2018 und 2019 und grundsätzlich in keinem Fall mehr als 500 000 Franken.
Forderungen von Gastrosuisse
Durch den Ausbau des Härtefallprogramms hat der Bundesrat am 13. Januar 2021 die Covid-19-Härtefallverordnung angepasst und ausgebaut. Die angepasste Verordnung enthält wichtige Lockerung von Anspruchsvoraussetzungen für Betriebe, die sonst nicht mehr lange überlebt hätten. Nichtsdestotrotz blieben viele Fragen ungeklärt, so Gastrosuisse. Ausserdem gelte bei zu vielen Betrieben noch nicht die Härtefallklausel, weil sie beispielsweise trotz Totalausfall nicht behördlich geschlossen wurden.
Der Bund hat laut Covid-19-Gesetz (Art. 12 Abs. 5) die Möglichkeit, für Betriebe, die in der betrieblichen Tätigkeit erheblich eingeschränkt werden, ebenfalls Anspruchsvoraussetzungen zu lockern. Die Härtefallentschädigung wurde im Januar erneut aufgestockt und beträgt nun 2,5 Milliarden Franken.
Laut Gastrosuisse richteten einige Kantone bereits Härtefall-Entschädigungen aus. Vielerorts fliesse das Geld jedoch nur schleppend, wenn überhaupt. Die Schwierigkeit liege insbesondere darin, dass die Kantone unterschiedliche Umsetzungen und Anspruchsvoraussetzungen hätten, was im Gastgewerbe zu einer krassen Ungleichbehandlung führe. Hinzu komme, dass je nach Unternehmensstruktur, Grösse oder Gründungsdatum Unternehmen ganz durch die Maschen fielen. Nachbesserungen seien dringend notwendig, weshalb Gastrosuisse mit Nachdruck fordert, dass Bund und Kantone die bestehenden Unklarheiten im Rahmen der Härtefall-Massnahmen in Ordnung bringen. Ferner fordert der Verband, dass Bund und Kantone die bestehenden Unklarheiten im Rahmen der Härtefall-Massnahmen beheben, Ungleichbehandlungen ausschliessen sowie dass sich die Kantone an die Vorgaben des Bundes halten und keine strengeren Härtefall-Kriterien beschliessen. Schliesslich müssten die Kantone Härtefall-Gesuche effizient und unbürokratisch bearbeiten, eine schnelle Auszahlung von finanziellen Entschädigungen ermöglichen. Gefordert wird auch eine Vereinfachung und ein Ausbau der Kurzarbeitsentschädigung.
Katastrophale Situation bei Restaurationsbetrieben
Eine Umfrage von Gastrosuisse bei seinen Mitgliedern Anfang des Jahres hat gezeigt, dass fast die Hälfte aller Betriebe bis Ende März 2021 glauben, eingehen zu müssen, wenn sie nicht sofort finanzielle Entschädigungen erhalten. Entscheidend sei jetzt, wie schnell die Härtefallgelder ausbezahlt werden. Die Auszahlung ist immer noch Sache der Kantone. Es wurde erkannt, dass die gesprochenen 2,5 Milliarden Franken nicht ausreichen. Deshalb sei nicht absehbar, wie viele Betriebe vor dem Untergang gerettet werden können und ob eine dritte Kündigungswelle noch zu verhindern ist.
Betriebsunterbrechungs-Versicherung wegen Corona in der Schweiz
Zum Toprisiko für Unternehmer gehören Betriebsunterbrechungen. Der Allianz Risk Barometer, für den mehr als tausend Experten aus 55 Ländern befragt werden, zeigt: Betriebsunterbrüche sind die grösste Gefahr für Unternehmen weltweit. In Unterbuchsverträgen kann man sich für Zeiten wie heute ausschliesslich gegen Epidemien versichern. Eine Epidemie wiederum ist ein Geschehen, das zeitlich und örtlich begrenzt ist. Gastronomiebetriebe schliessen Epidemien zum Schutz vor Folgen von Hygieneproblemen und eines örtlich begrenzten Ausbruchs eines Krankheitserregers ein.
Der ursprüngliche Gedanke eine Betriebsunterbrechungs-Versicherung ist Unternehmen vor den finanziellen Folgen eines ungeplanten Unterbruchs des laufenden Betriebes zu schützen. Die Versicherung übernimmt Kosten für Löhne, Mieten, entgangene Gewinne sowie Massnahmen, um den Betrieb wieder Instand zu setzen. Was für Restaurant- und Clubbesitzer eigentlich sicher tönt, hilft ihnen bei der Corona-Pandemie jedoch nicht. Denn bei Pandemien zahlen Versicherungen keine Schäden, auch denen nicht, die eine Epidemieversicherung abgeschlossen haben. Versicherer stellen sich hier auf den Standpunkt, dass versicherbare Epidemien lokal auftreten, Pandemien dagegen weltumspannend sind.
Versicherbarkeit einer Pandemie
Pandemien, die sich durch ihr weltweites Auftreten und grosse Unsicherheit bezüglich ihres Ausmasses charakterisiert, bleiben praktisch unversicherbar. Die Prämien könnte niemand bezahlen. Erst recht, wenn man sich vor Augen hält, dass die gesamte Versicherungsbranche gemäss den Zahlen der eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA jedes Jahr mittels Prämien «nur» rund 114 Milliarden Franken in den Sparten Leben, Schaden und Rückversicherung einnimmt. Im Vergleich dazu belaufen sich die Kosten der Pandemie für die Wirtschaft in der Schweiz laut Schätzungen der Konjunkturforschungsstelle KOF zwischen März und Juni 2020 auf rund 35 Milliarden Franken. Schäden in dieser Höhe können nicht von Versicherern alleine getragen werden. Die Branche würde bei einer nächsten Pandemie selbst in Konkurs gehen, so die ZAHW School of Management and Law Institut für Risk & Insurance.
Eine Pandemie wie Corona bleibt also praktisch nicht versicherbar. Aufgrund des Lockdowns und dem Homeoffice hat sich jedoch einiges bewegt. An vielen Orten wurde endlich in die nötige Digitalisierung investiert oder wenigstens darüber nachgedacht. Mögliche Ansätze könnten Pool- oder Kapitalmarktlösungen und weitere Risikotransferinstrumente sein, heisst es in der ad-hoc Studie, April 2020: «Wir erleben die Versicherer in der Schweiz die Corona-Krise: Ein Stimmungsbild» von ZHAW .
Als nicht versicherbar galten vor 20 Jahren auch Erbeben und heute gibt es dafür einen Versicherungsmarkt. Auch dort schätzte man das Schadenvolumen auf mehr als 80 Milliarden Franken alleine für Gebäudeschäden. Betriebsunterbrechungs-Versicherungen sind ein rotes Tuch für Versicherungen beziehungsweise für Underwriter. Das war Cyber Risk auch, heute streiten sich in diesem Markt die Versicherer um Kunden. Sobald es heisst, etwas sei nicht versicherbar, braucht es unter Umständen mehr Innovation, um es zu ermöglichen. Die Corona-Pandemie bringt die Wirtschaft weltweit in Bedrängnis, doch die Auswirkungen sind lokal und differenziert. Ein neues Risiko in einigen Jahren hat ganz andere Auswirkungen und betrifft wieder andere Betriebe. Darum ist das Risiko nicht voraussehbar und damit ein wesentliches Merkmal der Versicherbarkeit erfüllt.
In England sieht der oberste Gerichtshof die Lage überraschend anders. Den Versicherungsnehmern wurde Recht gegeben, die Versicherungen der Insel müssen zahlen. Von einer solchen Entscheidung sind Schweizer Richter jedoch weit entfernt. Hier zahlt der Bund Härtefallentschädigung. In Höhe von 2,5 Milliarden Franken.
Binci Heeb