Blog #2: Weder tea noch coffee – Der britische Gentleman von heute macht wieder Business bei einem Pint Beer
16. März 2022 | Aktuell BlogDer Broker, über den ich heute in Blog #2 schreibe, ist ein Lloyd’s Makler. In der Schweiz arbeiten derzeit neuzig solche Vermittler, auch Underwriter genannt. Bereits seit 74 Jahren sind sie Teil der schweizerischen Versicherungswirtschaft. In der Schweiz tätige Lloyd’s Broker bieten alle Versicherungen ausser für die Bereiche Leben, Krankheit und Rechtsschutz an.
Lloyd’s Underwriter können ihre Vollmacht zum Abschluss von Versicherungsverträgen an die sogenannten Coverholder delegieren. Unter solchen Umständen handelt dieser grundsätzlich und ausnahmslos im Namen der Lloyd’s Underwriter und nicht des Versicherungsnehmers. Den höchsten Anteil von über Lloyd’s angebotenen Versicherungen sind mit fast 22 Prozent die Haftpflicht-, knapp gefolgt mit 21,5 Prozent Sachversicherungen, gut 16 Prozent Finanzverlust, 13,5 Unfall, 12,3 Prozent Seefahrt, Luftfahrt und Transport, 11,7 Prozent Kredit und 2,7 Prozent Motorfahrzeuge.
Gemäss Versicherungsaufsichtsgesetz VAG unterstehen Versicherungsvermittler in der Schweiz der eidgenössischen Aufsicht und müssen im Register der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA eingetragen werden, dies gilt auch für Schweizer Coverholder.
Wie alles begann…
In seinen Anfängen in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts war Lloyd’s ein Kaffeehaus in der Londoner Tower Street. Wie zu der Zeit üblich, war das Kaffeehaus ein Treffpunkt für Geschäftsleute, nach heutigem Massstab Investoren, die bereit waren Risiken zunächst vornehmlich im Bereich der Schifffahrt abzudecken. Kaffeehausinhaber Edward Lloyd starb 1713, das Loyd’s hingegen blieb und entwickelte sich schon im 18. Jahrhundert zu einem Zentrum für private Versicherungen.
1811 wurde das Kaffeehaus zu einer offiziellen Gesellschaft, der ursprüngliche «Stammtisch» wurde bereits 1763, also längst zuvor, von Robert Adam zum noblen «Committee Room» umgestaltet. Der aktuelle Firmensitz, ein vom Architekten Richard Rogers zwischen 1978 und 1986 errichtetes futuristisches Hochhaus, enthält im 11. Stock Stein für Stein den über 360 Jahre alten Original-«Comittee Room» von Mister Adam.
Alle Wege führen nach London
Die heutige Geschichte handelt von einem 57-jährigen Lloyd’s Makler, der an der Spitze einer Brokerfirma steht: Nennen wir ihn Peter. Normalerweise führt ihn sein Weg in der Regel monatlich ein Mal nach London an den imposanten Hauptsitz des weltweit ältesten Versicherungsmarktes an der 1 Lime Street. Nun stand wieder eine solche Routinereise an, und Peters Sekretärin buchte ihm einen günstigeren Easy Jet-Flug nach London Gatwick – so dachte er zumindest. Bloss ging der Flug nicht nach Gatwick, sondern sollte in London Stansted landen.
«Kein Problem», dachte sich Peter, «Stansted, London City, Heathrow, Gatwick, Luton, Southend – ist doch alles in etwa ein und dasselbe. «Am Flughafen nehme ich mir ein Taxi und werde pünktlich bei meinem Meeting sein.» Weit gefehlt, denn Stansted liegt in Wirklichkeit nahe Bishop’s Stortford in Hertfordshire, immerhin ungefähr fünfzig Stau-Kilometer nördlich der englischen Hauptstadt. Die günstige Verbindung flog zudem nicht etwa direkt, sondern schob noch eine Zwischenlandung in Amsterdam ein. Wegen der Stunde Zeitverschiebung in England war bei der Buchung nicht aufgefallen, dass der Flug deutlich länger als gedacht dauern würde.
Die anschliessende Taxifahrt war ebenso abenteuerlich wie lange. Sie dauerte alleine bis in die Peripherie Londons eine volle Stunde und eine weitere bis in die Lime Street. Dazu kam, dass die Taxikosten mehr als doppelt so hoch ausfielen wie der Preis des Flugtickets.
In der Zwischenzeit hatte Peter seinen Geschäftspartner bei Lloyd’s über seine Verspätung informiert. Dieser meinte gegen 10.30 Uhr: «let’s talk business in the pub». Und so kam es, dass Peter und sein Londoner Kollege den aus der Schweiz mitgebrachten Vertrag von nicht unwesentlichem Umfang wie in den guten alten Zeiten am Tisch eines Kaffeehauses mit seinem goldigen Füllfederhalter unterschrieb – nur stand statt einem Tässchen Kaffee eine Pint Beer vor dem Kollegen auf dem Tisch. Die Farbe der Getränke ist ja bekanntlich im Königreich dieselbe.
Binci Heeb
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