Das Kondom reisst, ein Kind entsteht: Wer haftet?

27. November 2020 | Aktuell
Bild von Marek Studzinski auf Pixabay

Der K-Tipp Nr. 19 vom 11. November 2020 berichtet in einem Test von «60 Millions de Consommateurs», dass nicht alle Kondome ausreichend sicher seien. Bei der Prüfung fielen gar vier von 18 Produkten durch, weil sie reissen können. 

Konstruieren wir zum Verständnis ein möglichst einfaches, aber durchaus realistisches Beispiel: Eine Frau und ein Mann finden sich über eine Online-Partnerplattform und verabreden ein Treffen mit dem alleinigen Ziel von unverbindlichem Sex. Alles läuft wie erhofft. Man ist sich sympathisch und landet im Bett. Sie verhütet nicht, selbstverständlich benutzt er ein Kondom. Doch während man sich nahe kommt, reisst der Schutz, bemerkt wird dies erst am Ende der intimen Begegnung. 

Die beiden fühlen sich sicher, dass dieses Missgeschick keine Konsequenzen haben wird, sie trennen sich – ein weiteres Zusammenkommen ist nicht vorgesehen. Doch der unverbindliche Sex hat verbindliche Folgen die Frau wird schwanger und da für sie kein Schwangerschaftsabbruch in Frage kommt, wird sie das ungeplante Kind austragen. 

Wer ist verantwortlich?

Unser hier konstruiertes Beispiel basiert auf realen Fällen und immer stellt sich die Frage nach der «Schuld», oder konkret nach der Haftung für die finanziellen Folgen. Ist es der Kondomhersteller, der Verkäufer, das Paar oder der Kindsvater. Und: Darf ein entstehendes Kind, wenn auch ethisch problematisch, rechtlich als «Vermögensschaden» betrachtet werden?

Kein Kondomhersteller gibt auf seine Produkte einen Pearl-Index von 0 an, was 100 Prozent Sicherheit bedeuten würde. Der Pearl-Index von Kondomen beträgt zwischen 2 – 12, folglich können so viele Frauen, trotz der Verwendung eines Kondoms innerhalb eines Jahres schwanger werden. Will heissen: Je niedriger der Pearl-Index, desto sicherer die Verhütungsmethode. Im Vergleich zum Kondom verzeichnet die Pille einen Pearl-Index zwischen 0,1 und 0,9, bietet aber keinerlei Schutz vor Geschlechtskrankheiten. 

Wer haftet?

Nun stellt sich die Frage nach der Haftung. Ist der Kondomhersteller haftbar, der Verkäufer oder der Nutzer. Und: Kann ein entstehendes Kind überhaupt als «Vermögensschaden» betrachtet werden? thebroker hat Dr. Matthias Schnyder (Advokat in Basel) gefragt, dessen Schwerpunkt bei versicherungs- und haftpflichtrechtlichen Themen liegt. 

Haftet der Kondomhersteller?

«Gemäss dem Produktehaftpflichtgesetz haftet ein Hersteller oder ein Importeur für einen Schaden, welcher durch ein fehlerhaftes Produkt verursacht wird. Ein Produkt ist dann fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist». 

«Da kein Kondomhersteller eine Sicherheit von 100 Prozent garantiert, dürfte es schwierig werden, den Nachweis zu erbringen, dass das Produkt fehlerhaft war. Es kommt hinzu, dass sich schon dadurch Beweisprobleme ergeben, weil das gerissene Kondom vermutlich gar nicht mehr vorhanden ist, wenn einige Monate nach dem intimen Treffen eine Schwangerschaft diagnostiziert wird. Die Anspruchsteller können deshalb auch den Nachweis nicht erbringen, von welchem Hersteller das Kondom stammte». 

«Selbst wenn diese Beweishürden überwunden werden könnten, wird ein in Anspruch genommener Kondomhersteller bzw. seine Betriebshaftpflichtversicherung wohl damit argumentieren, dass nicht bewiesen sei, ob das Kind deswegen gezeugt wurde, weil ein Kondom gerissen ist. Es wäre durchaus möglich, dass das Kondom unrichtig verwendet wurde oder weil die Zeugung bei einem früheren oder späteren, ungeschützten Geschlechtsverkehr erfolgte».

Stellt ein ungeplantes Kind einen Schaden dar?

«Zur Frage, ob ein ungeplantes Kind einen Schaden darstellt, hat sich das Bundesgericht im Jahr 2005 ausführlich geäussert (BGE 132 III 359). Es ging in jenem Fall um die Schadenersatzklage einer Mutter gegen einen Arzt, weil eine Sterilisation fehlgeschlagen war. Das Bundesgericht hat die Grundsatzfrage bejaht, dass die Unterhaltskosten für ein ungeplantes Kind als Schaden im Rechtssinn zu qualifizieren sind. Auch hat es festgehalten, dass von der Mutter nicht als schadenmindernde Massnahme verlangt werden kann, dass sie das Kind abtreiben lässt oder zur Adoption freigibt».

Unterhaltspflicht des Erzeugers

«Der Erzeuger des Kindes wird nach den Bestimmungen des Zivilgesetzbuches unterhaltspflichtig, wenn ein Kindesverhältnis festgestellt wird. Er kann sich von dieser Unterhaltspflicht nicht mit dem Argument befreien, dass das Kondom gerissen sei. Er wird nur dann nicht unterhaltspflichtig, wenn ein DNA-Test ergibt, dass er nicht der biologische Vater sein kann».

Binci Heeb

Kondome schützen zwar vor Geschlechtskrankheiten und ungewollten Schwangerschaften, einen hundertprozentigen Schutz bieten sie hingegen nicht. Zu den häufigsten Gründen für eine Schwangerschaft trotz Kondom zählen Anwendungsfehler, wie das verkehrte Aufsetzen des Kondoms, die falsche Grösse, das Beschädigen des Kondoms beim Öffnen oder Reissen, sowie Abrutschens während des Geschlechtsverkehrs oder ein abgelaufenes Haltbarkeitsdatum. Bei der richtigen Anwendung gilt es dennoch als sicheres Verhütungsmittel.


Wer befürchtet schwanger zu werden und dies auf keinen Fall will, kann bis spätestens 72 Stunden nach dem Sex die «Pille danach» einnehmen. Beratungsstellen wie Sexuelle Gesundheit Schweiz sowie Apotheken und Ärzte geben die «Pille danach» ab. Sie bewirkt das Unterdrücken des Eisprungs und verhindert die Befruchtung und Einnistung der Eizelle.


Gute Kondome, die in der Schweiz erhältlich sind, waren im Test von «60 Millions de Consommateurs» im K-Tipp: Ceylor Blauband, Durex Extra Safe, Manix Super mit Latex und Manix Skyn ohne Latex.



Tags: #Kondom #Pearl-Index