Eigenversicherung am Beispiel der Stiftung für Minenräumung, Fondation Suisse de Déminage FSD

27. Juli 2020 | Aktuell Interviews
Minenräumung von Landminen, Blindgänger und improvisierten Sprengkörpern; die Aufklärung über die Gefahren von explosiven Kampfmittelrückständen und Hilfsmassnahmen für Minenopfer. ©FSD

Die Schweizer Stiftung für die Minenräumung FSD hat bisher 439’664’016 Quadratmeter Land sicher gemacht, 49’266 Ausbildungskurse zur Sensibilisierung der Gefahr von explosiven Kriegsüberresten abgehalten. Total 2’447’742 Kinder und Erwachsene wurden ausgebildet. Und diese Zahlen steigen stetig. Ein beispielloser humanitärer Einsatz für Menschen aus armen Ländern und Katastrophengebieten.

Wer ist die FSD, was sind ihre Aufgaben?

Die 1997 in Genf gegründete Schweizer Stiftung für Minenräumung FSD ist eine Organisation mit ausschliesslich humanitärer Mission. Als solche hält sie sich an die humanitären Prinzipien der Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit. Sie dient dem Schutz der von explosiven, toxischen oder radioaktiven Gefahren bedrohten Zivilbevölkerung. 

Die Aktivitäten der FSD umfassen unter anderem das Räumen von Landminen und explosiven Kampfmittelrückständen in Ländern wie Irak, Afghanistan, Tadschikistan, Kolumbien, Ukraine und Philippinen. Die Zerstörung von Landminen, Waffen und Munitionsvorräten in Tadschikistan. Die Aufklärung über die Gefahr von Minen und Blindgängern an die Zivilbevölkerung in Ländern wie Afghanistan, Ukraine, Philippinen, Afghanistan und die Betreuung der Opfer.

«thebroker» hat mit Benedikt Truniger, stellvertretender Direktor der FSD, über das FSD-Selbstversicherungssystem gesprochen.

Waren Sie der Entwickler des FSD-Selbstversicherungssystems?

Vor gut 20 Jahren habe ich Bruno Kopp, Geschäftsführer RMS Risk Management Service AG, beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz IKRK kennengelernt. Er hat uns seinerzeit als externer Berater beim Aufbau einer Selbstversicherung geholfen. Das Prämienvolumen damals überstieg bei weitem, was wir bereit und in der Lage waren, für die Risikoabdeckung unserer Sachwerte, zu bezahlen. Vor allem die Prämien für die politischen Risiken waren extrem hoch, bei relativ geringem Schadenvolumen. Prämienreduktionen, wie im Standardgeschäft für tiefe Schadenkosten, gab es in dieser speziellen Sparte nicht. Das IKRK operiert ja per Mandat in den schwierigsten Umfeldern dieser Welt. Dank einer sehr genauen Einsatz-Doktrin jedoch erleidet das IKRK vergleichsweise nur sehr tiefe Anzahl und Volumen von Schäden. Somit lag für uns der Vorteil von einer Selbstversicherung, zumindest für die normal anfallenden Schäden, auf der Hand. Herr Kopp hat dann auch die Verwaltung dieser Selbstversicherung übernommen und bewirtschaftet dieses System für das IKRK auch weiterhin, bei bis heute verdreifachtem Umsatzvolumen dieser professionellen Organisation.

Und bei der Schweizer Stiftung für Minenräumung FSD?

Später bei der FSD war die Sachlage ziemlich ähnlich: Versicherungsschutz für eine gefährliche Tätigkeit in Hochrisiko-Umfeldern. Es gab dafür eine Standard-Police bei einem Lloyd’s-Broker, die wiederum sehr teuer war und keine Differenzierung erlaubte zwischen den Schadenbelastungen der verschiedenen Entminungsorganisationen. Ich habe dann Herrn Kopp gebeten, auch uns beim Aufbau einer Selbstversicherung zu helfen, jedoch weit umfänglicher als beim IKRK. Sie umschliesst nämlich die Personal- und die Sachversicherung weltweit sowie natürlich auch die Unternehmens-Haftpflicht. 

Die Ausgangslage war etwas schwieriger als beim IKRK, denn das nötige Startkapital fehlte der FSD. Wir haben das System somit Schritt für Schritt ausgebaut, über 15 Jahre. Und sind heute an einem Punkt, wo das Verhältnis zwischen den selbstversicherten Risiken und denjenigen, die wir durch Rückversicherungen decken lassen, optimiert ist. Die jährlichen Netto-Kosteneinsparungen sind für unsere Organisation beträchtlich.

Welche Ziele verfolgen Sie dabei?

Wir haben mit einer vollständigen Risikoanalyse begonnen und in jedem Bereich den sogenannten «Maximal Possible Loss (MPL)» errechnet, dann das Total mit dem Eigenkapital verglichen, welches uns für die Risikoabdeckung zur Verfügung stand. In den ersten Jahren haben wir somit wenig Teilrisiken selbstversichert. Danach aber konnten wir jedes Jahr den Gewinn des Systems zur Aufstockung der verfügbaren Risiko-Reserve verwenden. Und somit sind wir heute bei einem Versicherungs-Eigenkapital von rund CHF 3.5 Millionen angelangt, was uns erlaubt, alle vernünftig einschätzbaren Risiken selbst zu schützen und bei den Rückversicherungen für unser System nur die Katastrophen-Risiken einzukaufen. 

Wie funktioniert das genau?

Dieses System funktioniert nur unter zwei Bedingungen:

  1. Die Organisation (oder Firma) muss einen absoluten Fokus auf Sicherheit und Qualität setzen. Nur das garantiert über Zeit die nötige Regelmässigkeit und Verlass des Managements auf stabil tiefe Schadenvolumen. In der FSD steht dieses Hauptziel in unseren Statuten und prägt unsere Organisation jeden Tag über eine «Total Quality Management»-Doktrin. FSD investiert vergleichsweise viel in sichere Ausrüstung, Ausbildung und Sensibilisierung der Kader und Teams sowie sehr konsequente Einsatzregeln. 
  2. Eine Selbstversicherung muss in allen Details verwaltet und kontrolliert werden, damit das Konzept über Zeit gelingt. Der Verwaltungsaufwand ist beträchtlich. Wird dieser zu Schweizer Kosten produziert, ist der Erfolg des Systems in Gefahr. Wir haben den grossen Vorteil, dass unser Unterstützungs-Team in Manila die ganze Verwaltung der Eigenversicherung fachkundig und zuverlässig übernimmt. 

Weshalb die Wahl einer Eigenversicherung?

Ich würde vier Gründe anführen:

Zum einen ist das Sparpotential beträchtlich. Unsere Geldgeber – meist westliche Regierungen – sind uns sehr dankbar dafür und haben Respekt vor dieser «Management Best Practice».

Zweitens hat die Selbstversicherung einen sehr positiven Einfluss auf das Risikobewusstsein und somit auch das Verhalten unserer Kader und unseres Personals. Sie können ja nicht über einen üblichen Versicherungsschutz einfach gewisse Risiken eingehen und sich in Sicherheit wähnen. Nein, sie müssen Verantwortung übernehmen, denn die Organisation trägt die Schäden ja viel mehr mit als bei einer Standardlösung. Das trägt ohne Zweifel zu einer vergleichbar tiefen Unfallquote bei der FSD bei.  

Drittens erlaubt uns die Selbstversicherung mehr Flexibilität. Wir können auf tragische und traurige Einzelfälle viel eher eingehen als mit einer Standardlösung die irgendwo in einer Police steht. Die Selbstversicherung hilft uns also auch, unseren Ruf als guter Arbeitgeber umzusetzen und zu erhalten. 

Und viertens, mit Hinblick auf internationale Sanktionen in Ländern, in denen wir als unabhängige Organisation arbeiten und helfen wollen, gibt uns die Selbstversicherung eine gewisse – wenn auch immer noch beschränkte – Unabhängigkeit, vor allem gegenüber politischen Sanktionen. 

Welche Risiken sind versichert?

Unsere Selbstversicherung deckt alle Arten von Personal- und Sachversicherungen, aber auch den Bereich Haftpflicht sowie Spezialversicherungen für politische Risiken mit Verträgen («Contract Frustration») oder etwa Entführungen. Wir haben auch eine einfache Art von Pensionskasse («Severance Pay System») für unsere nationalen Mitarbeitenden eingebaut. In Ausnahmefällen versichern wir auch selbst Bargeld-Transporte in Ländern, in denen das Bankensystem nicht gut funktioniert. Und eher ausnahmsweise benötigen wir auch eine Spezialversicherung für Immobilien. 

Welche Ereignisse sind schon vorgefallen?

In den Ländern, in denen wir arbeiten, ist das allgemeine Gesundheitsrisiko oft ziemlich hoch. Kommt dazu, dass die meisten unserer internationalen Angestellten bei uns in einer zweiten Karriere sind, nach 20-30 Jahren Ausbildung und Erfahrung in einer westlichen Armee. Das Durchschnittsalter unserer Angestellten liegt somit um die 50-60 Jahre, teilweise sind sie auch bereits über dem Pensionsalter. Wir haben somit eine ziemlich hohe Belastung im Bereich allgemeiner Behandlungskosten und wegen der teilweise schlechten Infrastruktur müssen wir ab und zu auch Erkrankte für eine gute Behandlung evakuieren. Sachschäden sind eher selten und Schadenvolumen sind vergleichsweise tief. Haftpflicht-Fälle sind äusserst selten, aber das liegt ja in der Natur der Haftpflichtversicherung. 

Nicht alle wohltätigen Organisationen veröffentlichen ihre Jahresberichte. Sie hingegen schon. Weshalb?

Zum einen gehört die vollständige Transparenz gegenüber unseren Geldgebern zu unseren grundlegenden Vorsätzen. Wir haben nichts zu verbergen und wir sind gerne bereit, Details die wir offenlegen, zu erklären. 

Zum anderen ist die FSD seit 14 Jahren Zewo-zertifiziert. Diese Zertifikation verlangt seit ein paar Jahren auch die Offenlegung der Finanzrapporte. Als die neue Regel eingeführt wurde, war diese bei uns schon seit vielen Jahren umgesetzt. Für uns, die wir mit öffentlichen Geldern arbeiten, war das selbstverständlich. 

2018 resultierte ein Risk Fund-Gewinn von 309’000 Franken, vergangenes Jahr gar von 340’000 Franken. Was sagen Sie dazu?

Es ist genau gleich wie in der Versicherungsbranche. Ein Versicherungsbereich muss Gewinn absetzen, sonst ist er über die Zeit nicht rentabel. Gewinn hilft auch uns, Reserven für schlechte Jahre zu bilden. Er hilft zudem, unseren Eigenversicherungsgrad auszubauen oder einer generellen Wachstumsphase anzupassen, in der wir uns im Moment befinden. Beide Überschüsse haben wir somit benutzt, das eigene Risiko-Kapital zu erhöhen. Dieses Jahr haben wir umfangreiche neue Verträge gezeichnet, das Volumen in den nächsten Monaten und Jahren wird steigen. Somit benötigen wir auch zusätzliches Kapital, um unseren Eigenversicherungsgrad erhalten zu können. 

Dazu kommt selbstverständlich die Tatsache, dass ein höheres Risikokapital die finanzielle Stabilität, Unabhängigkeit und auch den Cash-Flow entscheidend verstärkt. Wir betreiben unsere Selbstversicherung ja integriert und nicht etwa separat von der Finanzstruktur unserer Organisation. 

Wer war eigentlich der Gründer der FSD?

Die FSD wurde vom heutigen Direktor, Hansjörg Eberle, und ein paar Freunden 1997 als Verein gegründet. 2003 haben wir den Verein in eine Stiftung unter Schweizer Recht mit Hauptsitz in Genf umgebaut. 

Wie hoch ist Ihr Budget?

Das operative Jahresbudget liegt momentan bei rund CHF 18 Millionen. 

Stammt dieses aus reinen Spendengeldern?

Nein. Die FSD hat die letzten 20 Jahre nur Projekte umgesetzt, die durch die humanitären Budgets von westlichen Regierungen, der EU sowie kleinen institutionellen Geldgebern finanziert worden sind. Privatspenden waren die grosse Ausnahme. Bis 2018 und somit war unsere Organisation beim Schweizer Publikum auch nicht sehr bekannt, jedoch sehr wohl in den Amtsstuben westlicher Regierungen. 

Seit zwei Jahren nun verfolgen wir auch ein gezieltes Projekt der Suche nach Privatspendern. Im Moment sind wir unterwegs auf Spendensuche in der Westschweiz, ab nächstem Jahr haben wir auch geplant, diese Sammelaktion auf die Deutschschweiz auszuweiten. Entgegen unseren ursprünglichen Erwartungen ist das Publikum in der Romandie an der humanitären Entminung sehr interessiert. Es ist uns innerhalb von 18 Monaten gelungen, eine Basis von mehreren Tausend Privatspendern, die jeden Monat eine wertvolle Spende leisten, aufzubauen. Diese zusätzlichen Einkünfte sind sehr wertvoll, denn sie erlauben uns, neue Projekte zu entwickeln und auch auf Bedürfnisse von Menschen einzugehen, die bei den grossen Regierungs-Geldgebern im Moment nicht «auf dem Radar» sind. Es handelt sich dabei sehr oft um Bedürfnisse, die unsere Teams nur deshalb kennen, da sie tagtäglich mit der Bevölkerung an ihren Einsatzorten in engem Kontakt sind. 

Arbeiten Sie auch mit anderen Organisationen zusammen?

Entminung ist eine Hochrisiko-Arbeit, die man nicht einfach mit anderen Einsatzkräften und Organisationen teilen kann. Somit arbeiten wir im Kernbereich, der humanitären Entminung normalerweise eigenständig und alleine. Nur so können wir den hohen Qualitätsansprüchen gerecht werden. Dagegen arbeiten wir manchmal mit anderen Organisationen «integriert», d.h. wir entminen und eine Partnerorganisation unterstützt parallel die lokale Bevölkerung beim Wiederaufbau ihrer Existenzen, auf gesichertem Land und Hof. 

Benedikt Truniger hat eine eindrucksvolle Laufbahn im humanitären Sektor vorzuweisen hat. Nach 16 Jahren beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) war er 6 Jahre davon in leitender Position. Seit 2003 ist der Wirtschaftswissenschaftler FHS Mitglied des FSD-Managementteams und konzentriert sich derzeit auf das Backoffice von FSD in Manila, Philippinen, das Management des FSD-Selbstversicherungssystems sowie die Personalabteilung.


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