thebroker: Exklusiv-Interview mit Baloise VR-Präsident Dr. Andreas Burckhardt

19. Oktober 2020 | Interviews
Dr. Andreas Burckhardt, VR-Präsident Baloise Group. ©Baloise

Vor einem Monat feierte Basel mit grosser Verspätung die Eröffnung des neuen Konzernsitzes. Auf das angeschlossene Mövenpick Hotel muss Basel noch ein weiteres Jahr warten. Zeit für thebroker, um persönlich mit dem Verwaltungsratspräsidenten der Basler Versicherungsgruppe, Dr. Andreas Burckhardt, über seinen anhaltenden Ärger auf die Bauunternehmen und seine visionären Pläne für die Zukunft des eigenen Unternehmens zu sprechen.   

Zunächst um Peinlichkeiten auf unserer Seite zu vermeiden: Baloise oder Basler Versicherung, wie heisst es eigentlich richtig?

Wenn von der Gruppe die Rede ist, kann man von der Baloise Gruppe oder der Basler Versicherungsgruppe sprechen. Die börsenkotierte Muttergesellschaft der schweizerischen und ausländischen Gesellschaften ist die Baloise Holding AG und wenn wir von unserer Gesellschaft im Schweizer Markt sprechen, kennen die Kunden in der Deutschschweiz diese unter dem Namen Basler Versicherungen.

Sie sind Basler durch und durch, ihre Familie ist seit Generationen in der Stadt zu Hause. Waren Ihre Wurzeln ein Mitgrund, warum Sie die höchste Position in einem Unternehmen übernommen haben, welches ihre Heimat im Namen trägt?

(Lacht) Nein, das war nicht der Grund. Ich bin in Kalifornien geboren – habe allerdings kein amerikanisches Bürgerrecht mehr – und kam bereits mit fünf Monaten nach Basel. Die Verwurzelung in dieser Stadt und Gegend ist gross. Meine Karriere begann bei der Baloise als Generalsekretär. Ich wechselte später als Direktor zur Handelskammer. Der Wechsel zurück zu einem Unternehmen war immer eine Alternative und da ich bereits im Verwaltungsrat der Baloise sass, berief man mich 2011 zum Präsidenten der Versicherung. Es musste also kein Basler Unternehmen sein. Ich hätte mir auch durchaus vorstellen können, in eine andere Gruppe zu wechseln. Ich denke aber, dass es entscheidend ist, wenn man seine Wurzeln in der Gegend hat, wo auch die Firma verankert ist.

Wir sitzen hier in Ihrem Büro im 7. Stock des neuen Konzernsitzes von Diener & Diener Architekten. Wie fühlt sich das an? 

Im Moment regnet es. Wäre das Wetter besser, hätten wir eine schönere Aussicht. Man könnte dann über die Stadt, das Elsass und in Richtung Südbaden sowie auf den Jura blicken. Es ist toll, an einem pulsierenden Platz zu sitzen und quasi das Eingangstor zu Basel zu sein. (Anm. der Redaktion: Der neue Hauptsitz befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof SBB)

Baloise Gesamtensemble mit Mövenpick-Turmbau, Ausbildungszentrum und Konzernsitz. ©Baloise

Wie war es eigentlich, im alten Büro gegenüber zu sitzen und auf die wachsenden Verzögerungen der Bauarbeiten zu blicken?

Ich habe bereits zwei Neubauten beim Wachsen zugesehen: zunächst dem Vorgängergebäude des jetzigen Konzernsitzes und während der letzten Jahre  dem heutigen Neubau. Von den Bauverzögerungen war zunächst nichts zu bemerken. 

Die Zusammenarbeit der beiden Totalunternehmer Steiner AG und Porr AG erwies sich als ausgesprochen mühsam…

Die Zusammenarbeit erwies sich tatsächlich als schwierig. Das habe ich auch öffentlich geäussert, weil ich der Meinung bin, dass man Versprechen gegenüber Geschäftspartnern auch hält. Geht es aus irgendeinem Grund nicht, meldet man das Problem frühzeitig. Es kann nicht sein, dass es solche selbst verschuldete Verzögerungen gibt. In der Schweiz müsste ein mit Handschlag vereinbarter und unterzeichneter Vertrag noch immer etwas gelten, darauf sollte man sich als Partner verlassen können.

Das zu ihrem Projekt gehörende Hotel Mövenpick soll nun sogar fast ein ganzes Jahr später als geplant eröffnen. Das nervt Sie spürbar. 

Es ist schon rein ökonomisch schwierig für uns, da wir Ertragsausfälle haben. Ein Jahr Verspätung ist nicht vertretbar. Ja, das ärgert mich.

Bauverzögerungen bedeuten in den allermeisten Fällen auch Kostenerhöhungen. Graut es Ihnen bereits vor der Endabrechnung oder wird es bei den vereinbarten 350 Millionen Franken bleiben?

Es sollte dabei bleiben, wir sind vertraglich und finanziell abgesichert. 

Neben dem neuen Konzernsitz konnte auch das Ausbildungszentrum, welches sich bisher in Arlesheim befand, neben das BIZ-Gebäude umziehen. Hat es dort noch Platz für Drittmieter?

Das Gebäude, indem wir uns jetzt befinden, nutzt die Baloise alleine. Das Turmgebäude des Architekten Quintus Miller besteht aus Hotel und drei weiteren Mietparteien. Im Ausbildungszentrum, vom Flimser Architekten Valerio Olgiati gebaut, bilden die drei unteren Stockwerke das eigentliche Zentrum und die restlichen Büros sind fremdvermietet. Dies mit der Überlegung, dass wir nur ein Gebäude ganz beanspruchen, um die fremdvermieteten Büros als Kapitalanlagenutzen zu können.

Der Baloise Park will eine offene Arbeits- und Begegnungszone für Mitarbeitende, Drittmietern und Bevölkerung sein. Ist der Name «Park» nicht etwas irreführend?

Nein, denn der Park ist wirklich eine Begegnungsstätte. Er vereint das Hotel, das Café im Erdgeschoss des Konzernsitzes, welches primär für die Mitarbeitenden, aber auch für Gäste gedacht ist, mit dem Kunstforum. Zusätzlich steht ein imposantes Kunstwerk des deutschen Künstlers Thomas Schütte draussen auf dem Platz. Der Künstler nennt es «Drittes Tier», weil es seine dritte Figur aus dieser Reihe ist. Sie erhält möglicherweise noch einen anderen Namen, wir sind am Überlegen. Das Fabelwesen stösst Dampf aus und wird so auf dem Platz lebendig. Mit den runden Scheiben des Diener & Diener-Baus im Hintergrund und dem später hoffentlich belebten Hotel und dessen öffentlichem Café auf den Platz hinaus ergibt sich ein belebter Ort, ein Park.

Thomas Schütte, «Tier 3», Baloise Park ©Baloise

Der Halbjahresgewinn der Baloise sank im ersten Halbjahr um 55 Prozent. Ihr CEO, Gert De Winter, sagte anlässlich der Präsentation der Halbjahreszahlen, dass sich das operative Geschäft der Baloise trotz Covid-19-Einflüssen «resilient und solide» gezeigt hat. Wie erklären Sie das?

Die ganze Corona-Pandemie bedeutet für die Baloise einen grossen Schaden. Normalerweise versteht man unter grossen Schäden einen Sturm oder ein anderes Grossereignis. Corona hat sicher die Bedeutung eines «Grossschadens». Wir sind für diese Art von Schäden rückversichert. 

Die Entwicklungen auf dem Finanzmarkt im ersten Halbjahr waren wegen Corona in diesem Jahr ebenfalls schwierig. Für das zweite Halbjahr sind wir jedoch zuversichtlich, dass wir am Ende ein annehmbares 2020 präsentieren können, wenn auch nicht auf der Höhe der vergangenen Jahre. 

Auf der anderen Seite gab es in gewissen Bereichen geringere Schäden als befürchtet. So sind weniger Leute Auto gefahren. Krankheitsausfälle haben wegen der erhöhten Beachtung der Hygienemassnahmen ebenfalls abgenommen. Ganz genau können wir dies aber noch nicht einschätzen. Wir können auch noch nicht sagen, wie sich das Geschäftsjahr konkret zeigen wird. Es hängt davon ab, wie sich die Covid-19-Pandemie im zweiten Semester entwickelt. 

Wie hält es die Baloise mit Homeoffice für die Mitarbeitenden?

Wir hatten das Glück, in Sachen IT bereits sehr gut aufgestellt zu sein. Wir konnten deshalb beim Lockdown relativ schnell aus den Heimbüros arbeiten. Am Konzernsitz verblieb nur noch eine Minimalzahl von Mitarbeitenden aus Technik, IT, Porte etc. Seit dem Ende des Lockdowns gilt die Masszahl 50:50. Das heisst, die Hälfte der Belegschaft arbeitet im Büro und die andere Hälfte von zu Hause aus. Wir sind da sehr flexibel in der Umsetzung.

Die Baloise hat kürzlich ihre Angebotspalette für das Ökosystem «Home» erweitert. Worum handelt es sich dabei?

Wir fanden, dass es nicht nur den Abschluss von Versicherungen braucht, sondern eine weitergehende Betreuung unserer Kundinnen und Kunden. Deshalb der Einstieg beim Umzugsunternehmen MOVU. Dank «Home» kann man innerhalb von zwei Tagen z.B. von Basel nach Zürich ziehen. Ein- und Auspacken sowie das Putzen der alten Wohnung werden übernommen. Sie geben den Schlüssel heute ab und nehmen den neuen morgen in Empfang. Darum herum ist noch vieles mehr möglich, zum Beispiel die Auswahl und das Aufgebot von Handwerkern. Im Grunde genommen handelt es sich um eine Brücke, die wir unseren Kunden anbieten. Der Hintergrund ist selbstverständlich, dass eventuell ein Umzug oder der Hausrat am neuen Ort bei uns versichert werden. Mit der Beteiligung am Unternehmen BubbleBox bieten wir die Gelegenheit, Kleider reinigen zu lassen, ohne dass man persönlich in die Reinigung muss.

Diese Firmen bieten unseren Versicherten Annehmlichkeiten, welche sie noch stärker an die Baloise binden. Deshalb existiert daneben ein zweites Ökosystem namens «Mobility», mit dem Autos oder Wohnmobile temporär gemietet werden können. Diese Angebote sollen im weitesten Sinne das Leben vereinfachen, weil über die Plattformen diverse Dienstleistungen aus einem Themenbereich angeboten werden. Die Baloise kann gleichzeitig den Versicherungsschutz anbieten.

Das sind revolutionäre Schritte und Visionen.

Wenn man vom Ökosystem «Home» spricht, sind unsere Kunden mit einer Hausratversicherung, vielleicht noch mit einer Haftpflichtversicherung bei uns versichert. Man hat also ein bis zwei Mal jährlich Kontakt, sonst bisher eigentlich nie. Zuhause hat der Versicherungsnehmer aber noch viele andere Bedürfnisse, welche durch die Ökosysteme befriedigt werden können. Dadurch erhalten wir das ganze Jahr hindurch Kontakt zu unseren Kunden.

Sie beteiligten sich am Immobilien-Start-up Houzy. Nach MOVU,  BatmaidDevis.ch, BubbleBox , Keypoint und Immopass bereits die siebte Allianz, die vom Baloise Ökosystem «Home» angekündigt wurde.

An Houzy besteht eine Minderheitsbeteiligung. Sie ist die Plattform, die Wohneigentümer nutzen, welche ihre Liegenschaften sanieren, schätzen oder verwalten wollen.

Die Digitalisierung wird in der Versicherungsindustrie immer wichtiger. Baloise überwindet mit Ökosystemen bestehende Branchengrenzen. Sehen Sie sich als Vorreiter in der Branche?

Wir sind sicherlich weiter fortgeschritten in dieser Thematik. Über die Zahlen hinaus verfügen wir über Möglichkeiten, die uns zeigen, in welche Richtung das Interesse unserer Kundinnen und Kunden geht. Dank unserer Daten wissen wir, wo sie Informationen abrufen oder wie oft sie bei einer Lebensversicherung nachfragen. Mit unserem aktuellen Stand in der Digitalisierung sind wir sehr gut gerüstet. Dank der Zusammenarbeit innerhalb unserer Gruppe, insbesondere auch mit den wegweisenden Entwicklungen in Belgien, sind wir ganz vorne dabei. Ein weiteres Beispiel: Wir bieten die Autoversicherung «FRI:DAY» in Deutschland an, welche komplett übers Handy läuft.

Herr Dr. Burckhardt, vergangene Woche kamen Sie zurück von einer Motorradtour mit Freunden. Lässt Ihre Aufgabe überhaupt noch genügend Zeit für Freizeit und Hobbys?

Funktionen, wie die meine, fliessen immer ineinander hinein: ins Privatleben, in die eigenen Interessen, in die berufliche Tätigkeit. Ich könnte meine Arbeit nicht tun, wenn sie mich nicht auch sehr interessieren würde. Ich bin 24 Stunden Präsident der Baloise, ich bin aber auch 24 Stunden jemand, der sich für Basel interessiert, der sich früher 24 Stunden für seine Kinder interessierte, also auch 24 Stunden Privatperson ist. In dieser Position gibt es auch keine Alternativen. 

Kommt irgendwann der Zeitpunkt, wo Sie trotz steiler Karriere und voller Energie über das langsame Loslassen nachdenken? 

Ich denke, die wichtigste Aufgabe meiner Funktion ist es, rechtzeitig zu schauen, ob wir gute Mitarbeitende haben, die nachrutschen können. Ich bin jetzt 69. Im Reglement steht, dass Präsidierende jeweils um die Generalversammlung, die nach dem 70. Geburtstag stattfindet, in der Regel zurücktreten. Daher zeichnet sich eine gewisse Ablaufzeit ab – in meinem Fall im Jahr 2022 . Mit der Fertigstellung des Baloise Parks ist ein Zwischenschritt erreicht. Wenn eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger gefunden wird, bin ich nicht unglücklich. Ich merke auch, dass ich nicht mehr so leicht hundert Meter rennen kann, wie ich es noch mit zwanzig Jahren tat. 

Herr Dr. Burckhardt, vielen Dank für das sehr offene Gespräch.


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