Momentaufnahme des grossen Grabens: Impfskeptiker, Impfgegner und Geimpfte
15. November 2021 | AktuellFast ein Drittel der Schweizer Bevölkerung haben Vorbehalte, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen. Die Gründe sind vielfältig, angegeben werden unter anderem das Fehlen von Langzeitstudien, Angst vor Langzeitfolgen oder die Vorstellung, dass durchgestandene Krankheiten das Immunsystem besser stärken als Impfungen.
Die Impfquote in der Schweiz ist, im Vergleich zu den meisten europäischen Ländern Stand Mitte November, sehr schlecht. Nur 66.4 Prozent sind mit einer ersten Impfdosis und 64,5 Prozent vollständig geimpft. Am besten schneidet in Europa mit fast 90 Prozent Portugal ab. Sechs Monate nach der letzten Impfung wird nun in der Schweiz zunächst Personen über 65 und Risikopatient*innen und seit dem Wochenende allen Personen ab 12 Jahren eine Booster-Impfung empfohlen. Die dritte Impfung mit Comirnaty von Pfizer/BioNTech wird mit der gleichen Dosis wie die beiden erstem Impfungen verabreicht. Für die Auffrischung mit Spikevax von Moderna hingegen die halbe Dosis.
Wie lange die Impfung mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson anhält und ob es auch bei ihm einer Booster-Impfung bedarf, ist (noch) nicht bekannt. Anders als Pfizer/BioNTech und Moderna hat Johnson & Johnson (noch?) kein Gesuch für eine dritte Impfdosis bei Swissmedic eingereicht.
Ausrede oder Zurückhaltung: «Ich bin grundsätzlich keine Impfgegnerin»
Nicht alle Ungeimpften sind unbelehrbare Gegner der Covid-19-Impfung. Thebroker zeigt dazu hier symbolisch das wahre Beispiel einer ungeimpften Frau mittleren Alters. Grundsätzlich sei sie keine Impfgegnerin und seit dieser Woche zwei Mal geimpft. Die Gründe für ihr Zögern seien gewesen, dass nach ihrer Meinung die Impfstoffe noch zu wenig lange erforscht waren und der Bundesrat mit unvollständigen und zu einseitigen Informationen argumentiert hätte. Da sie an einer Autoimmunkrankheit leide, reagiere sie zudem heftig auf Eiweisskomponenten. Der zuständige Hausarzt sowie Spezialisten seien sehr zögerlich gewesen in ihrem Fall. Auch wäre sie der Ansicht, die Impfung hätte während der Sommermonate keinen Sinn gemacht.
Sie schütze sich nun nach wie vor wie eine Ungeimpfte. Für Einsätze an einer Sportveranstaltung habe sie sich anfangs mit den Schnelltests zu Hause getestet. Bei bestehenden Auflagen habe sie sich, wenn erforderlich, fürs Geschäft und für Wettkämpfe mittels Selbst- und offiziellen Tests getestet. Der Grund, sich schliesslich doch impfen zu lassen war, der notwendige Zugang zu Restaurants, auf deren sanitäre Anlagen sie wegen ihrer Erkrankung jederzeit angewiesen sei. Als Nichtgeimpfte, aber Getestete, fühlte sie sich auf der sicheren Seite.
Das Klassendenken zwischen Geimpften und Ungeimpften hat ihr schwer zugesetzt und tut es immer noch. Sie ist enttäuscht über das Verhalten von Regierung, Vorgesetzten und allen Personen, die die Ungeimpften beschimpfen und ausgrenzen. Eine Schuld sieht sie auch bei den Medien, die zu einseitig berichten. Von den selbsternannten Spezialisten und Extremisten auf beiden Seiten distanziere sie sich stark. Sie kenne eine ganze Menge Ungeimpfte, vor allem aus Pflegeberufen. Aber auch junge Menschen und junge Frauen, die noch Kinder haben möchten. Hier fehle es an einer sachlichen und objektiven Aufklärung für mehr Klarheit.
Auf die Frage, ob sie geimpft sei, habe sie immer ehrlich geantwortet, obwohl sie der Meinung ist, dass dieses Thema Privatsache sei. Eine Booster-Impfung werde sie erst nach Rücksprache mit ihrem Arzt machen und nach der Abklärung, wie viele Antikörper sie habe.
Von Desinformation bis Antisemitismus
Aber Achtung: Nicht alle Ungeimpften sind nur übervorsichtig oder aus medizinischen Gründen nicht in der Lage sich zu schützen. Gleich mehrere Verschwörungstheoretiker verbreiten gezielte Desinformation über Machtmissbrauch der Regierung bis hin zu Antisemitismus. Unter ihnen RT DE, der deutschsprachigen Ableger von Russia Today, gehört laut einer Studie von Forschern des Insituts für strategischen Dialog ISD in London zu den meistgeteilten Medien in einschlägigen Telegram-Gruppen. Obwohl von Youtube gesperrt, steigt seine Reichweite kontinuierlich. Demnach bezogen sich 67 der 100 meistgesehenen Youtube-Videos des russischen Staatssenders auf Covid-19. Dabei enthielten die meisten Beiträge irreführende oder falsche Behauptungen.
Diverse, von Wissenschaftlern als falsch identifizierte, Aussagen des deutschen Mediziners und bis 2012 Professors für medizinische Mikrobiologie Sucharit Bhakdi wurden unkommentiert wiedergegeben. In einem Interview im Frühling dieses Jahres äusserte er sich in Bezug auf die Coronamassnahmen in Israel folgendermassen: Die Juden hätten «das Böse» aus NS-Deutschland gelernt und in Israel «noch schlimmer» umgesetzt, so dass Israel jetzt «die lebende Hölle» sei.
Auch die «herzigen» Freiheitstrychler in der Schweiz zeigen sich im Messaging-Dienst Telegram mit Verschwörungs-Symbolen. Auf ihrem Kanal Patrioten.Tube zeigen sie (siehe Video) das am 9. November ausgestrahlte Video: «Die Freiheitstrychler auf der Teufelsbrücke. Ein Treffen mit dem «Great Reset». Das international bekannten Symbol des «Great Reset», besagt, dass die ganze Corona-Pandemie inszeniert sei und eine dunkle Weltmacht die Verschwörung für ihre Zwecke nutze. Damit outen sich auch die selbsternannten «engagierten Urschweizer» als Verschwörungstheoretiker.
Es ist unmöglich die Gründe aller Ungeimpften über einen Kamm zu scheren, sie sind zu unterschiedlich. Noch ist es aber so, dass die meisten Coronakranken in den Akutabteilungen der Krankenhäuser nicht geimpft sind. Eine allgemeine Impfpflicht wird sich politisch nicht durchsetzen lassen, diese existiert nur in autokratischen Ländern wie Tadschikistan und Turkmenistan. Die Impfpflicht für das Personal von Spitälern und Altersheimen, wie sie in Frankreich, Italien, Griechenland und Grossbritannien Vorschrift ist, wird sich zumindest vorläufig ebenfalls nicht durchsetzen lassen.
Doch alle diese geschilderten und keineswegs vollständigen Beobachtungen von thebroker sind lediglich eine aktuelle Fotoaufnahme. Nicht mehr. So ist die Impfung zumindest eine moralische Pflicht, oder wie alt Bundesrat Leuenberger für einmal treffend sagt: «Ich schütze mich für dich, also schütze dich für mich». Denn das einzige, was wir ausnahmslos alle über die Zukunft derzeit wissen, ist, dass wir eigentlich gar nichts wissen.
Binci Heeb