Navigieren durch globale Turbulenzen: Erkenntnisse aus dem Webinar von Christian Takushi
28. Oktober 2024 | Aktuell AllgemeinDas jüngste Webinar vom 23. Oktober 2024 zum Thema: «Warum die US-Wahlen die prekäre Lage Europas möglicherweise nicht ändern werden» mit dem erfahrenen Makroökonomen Christian Takushi beleuchtete kritische geopolitische und makroökonomische Trends, die die globale Dynamik unabhängig von den Wahlergebnissen in den USA neu gestalten könnten. Gestützt auf seiner breiten Expertise wird Takushis Analyse ein Licht auf die drängenden Herausforderungen und Chancen, mit denen Europa konfrontiert ist. Dabei spielen die Schwellenländer eine wichtige Rolle.
Während viele europäische Politiker und Wirtschaftsführer offen auf einen Sieg der Demokraten bei den US-Wahlen hoffen, rechnen viele Investoren auf eine Fortsetzung des Status quo. Sie können auf mehrere Anlagemärkte setzen, ohne die geopolitische und sicherheitspolitische Verschlechterung in Europa einpreisen zu müssen. Die folgende Analyse zeigt, dass sowohl eine Harris- als auch eine Trump-Regierung ernsthafte Herausforderungen und Risiken für Europa mit sich bringen würden. Die US-Aussenpolitik unter Harris oder Trump wird wahrscheinlich härter werden, und das grösste Opfer sitzt in einer selbst gestellten Falle.
Da die Welt von Volatilität und Unsicherheit geprägt ist, ist das Verständnis makroökonomischer Landschaften für Investoren und Entscheidungsträger gleichermassen unerlässlich. Christian Takushis Webinar für Mitglieder der CFA Society Switzerland bot eine Plattform, um die komplexen geopolitischen Sachverhalte zu untersuchen, die die US-Aussenpolitik und damit auch Europa beeinflussen. In seinem Vortrag betonte er, wie wichtig es ist, Trends zu erkennen, die in den gängigen Analysen oft übersehen werden, und ging gleichzeitig auf die unmittelbaren Auswirkungen der bevorstehenden US-Wahlen auf die Weltwirtschaft und -politik ein.
Die fragile europäische Landschaft
Takushi begann mit der Hervorhebung der Besonderheit der europäischen Stabilität und führte ihren Wohlstand auf den militärischen Schutz der USA, erschwingliche russische Energie und wettbewerbsfähige Güterpreise aus China zurück.
Allerdings hat er davor gewarnt, dass diese Säulen erodieren und Europa dadurch verwundbar wird, da es in den nächsten Jahren noch stärker von ausländischen Mächten abhängig sein wird. Diese Übergangsphase stellt eine prekäre Zukunft für die Investoren des Kontinents dar, insbesondere angesichts des wachsenden Einflusses geopolitischer Faktoren, die durch die US-Wahlen noch verstärkt werden dürften.
Geopolitischer Analphabetismus in Europa
Eine grundlegende Botschaft des Webinars war die Notwendigkeit einer besseren geopolitischen Bildung unter den europäischen Führungskräften. Takushi bemerkte, dass viele in Europa die EU seit Jahren als den Hauptförderer von Frieden und Wohlstand auf dem europäischen Kontinent wahrnehmen. Eine fehlerhafte Wahrnehmung. Mit Blick auf die Zukunft, argumentierte er, sei es von entscheidender Bedeutung, die Komplexität neuer globaler Bündnisse und aufstrebender multi-ausgerichteter Nationen zu verstehen – jeder Fehltritt bei der Einschätzung dieser Beziehungen könnte bestehende Spannungen verschärfen und das zukünftige Wachstum europäischer Unternehmen erheblich einschränken. Niemand in Europa sollte Washington dafür verantwortlich machen, dass es die prekäre Lage Europas ausnutzt. Die Wahrung unserer Interessen ist die Aufgabe unserer gewählten Politiker, nicht Amerikas.
Alle Nationen vertreten ihre nationalen Interessen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Es gibt keine dauerhaften Verbündeten, sondern nur gemeinsame Interessen. Letztere können sich weiterentwickeln, divergieren und sogar kollidieren.
Der Aufstieg multi-ausgerichteter Nationen
Aufstrebende Mächte wie Brasilien und Indien sowie eine ganze Reihe mittelgroßer Schwellenländer mischen das globale Machtgleichgewicht neu. Diese streben strategische Partnerschaften mit allen Grossmächten an, anstatt sich strikt an die USA oder China anzupassen. Ermutigt durch ihren wirtschaftlichen Aufstieg und ihre finanzielle Stabilität gehen diese Schwellenländer offizielle Verträge und heimliche Bündnisse mit allen Mächten ein. Gerade unsere vielen Sanktionen haben sie dazu geleitet. Takushis Analyse deutete darauf hin, dass diese Nationen zunehmend eine entscheidende Rolle bei der Ausrichtung des Welthandels und der Aussenpolitik spielen, da ihr selbstbewusstes Wirken etablierte Normen verändern, und neue Chancen und Risiken für Investoren schaffen können. Washington weiss, dass es die US Wirtschaft nicht beliebig lang aufblähen kann, um BIP-Wachstum zu erzielen, sondern es möchte auch Zugang zum organischen Wachstum dieser dynamischen Volkswirtschaften haben.
Auswirkungen auf die US-Aussenpolitik
Der Redner behauptete, dass unabhängig davon, wer die US-Wahlen gewinnt, aussenpolitische Veränderungen wahrscheinlich durch selbstbewusste Schritte gekennzeichnet sein werden, die sich erheblich auf Europa auswirken werden.
Ein Harris-Sieg könnte eine durchsetzungsfähige Aussenpolitik einleiten, die zu zusätzlichen Sanktionen, Embargos, technologische Kriegshandlungen und Kriegen führen könnte – aufbauend auf Bidens sog. Inflation Reduction Act (IRA), den Takushi Bidens Kriegserklärung an Europa nannte. Wenigen in Europa ist es aufgefallen, dass dies hauptsächlich zulasten Europas geht. Ein Trump-Sieg würde eine energischere Wirtschafts- und Handelspolitik mit Schwerpunkt auf Zöllen und der Rückführung der Produktion nach Amerika auslösen. Da Trump in den meisten nicht-westlichen Hauptstädten gefürchtet ist, dürften bestehende Kriege wahrscheinlich in der 1. Jahreshälfte 2025 zu Ende gehen. Die Kriegsführung an der Wirtschaftspolitik-, Währungs- sowie Cyber-Front dürfte allerdings explodieren. Grosse und mittelgrosse Wirtschaftsmächte werden Trumps Amtszeit nutzen, um sich auf einen Krieg vorzubereiten. Geschwächt durch eine lange Reihe eigener Fehleinschätzungen hängt das Schicksal Europas in zunehmendem Masse von den USA ab. Dass US-Präsidenten aufgrund der blockierten Innenpolitik («gridlock») sich zunehmend durch eine aggressivere Aussenpolitik definieren müssen, kommt Europa nicht gerade entgegen.
Investitionsmöglichkeiten in der Zukunft
Trotz der sich abzeichnenden Herausforderungen wies Takushi auf Chancen für vorausschauende Investoren hin. Europäische Anleger, die ihre globale Diversifizierung überprüft haben, um geopolitische Veränderungen und Risiken einzubeziehen, haben ihr Engagement in geopolitisch neutralen und fiskalpolitisch gesunden Volkswirtschaften in der südlichen Hemisphäre erhöht. Insbesondere in mittelgrosse Volkswirtschaften, da diese die disziplinierteste Fiskal- und Geldpolitik verfolgen und künftigen Kriegen am wenigsten ausgesetzt sind. Er wies auch auf bestimmte Sektoren in Europa hin, die inmitten dieser Turbulenzen auf Wachstum stossen: Verteidigung, Energie- und Ernährungssicherheit, Umstrukturierung der Lieferketten usw. Wenn Entscheidungsträger dieses Wissen nutzen, können sie potenziellen Umwälzungen vorausschauend begegnen und von Veränderungen profitieren, anstatt von ihnen überrumpelt zu werden.
Auswirkungen der US-Wahlen auf die Schweiz
Unabhängig davon, wer die bevorstehenden US-Wahlen gewinnt, erklärte Takushi, werden sich wahrscheinlich die daraus resultierenden Veränderungen markant auf die europäische und damit auch auf die Schweizer Wirtschaftspolitik auswirken.
Während der politische Prozess in den USA sehr unvorhersehbar geworden ist, sind Richtung und Art der amerikanischen Aussenpolitik einiges vorhersehbarer. Ja, Washington kann rücksichtsloser sein als Brüssel. Eine durchsetzungsfähige US-Aussenpolitik stellt die Schweiz vor die Herausforderung, ihre wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen zu den USA, Grossbritannien, der EU, China, Russland nach einer allfälligen Friedensregelung, Indien, Brasilien und den fiskalpolitisch gesunden mittelgrossen Schwellenländern (Takushi nennt sie The Emerging 7) neu zu bewerten und auszurichten. Einfach an eine überforderte und nahezu gelähmte EU anzudocken, weil sie bisher der grösste Handelspartner war, wäre ein schlechter Rat.
Wenn die USA beispielsweise unter einer neuen Regierung eine aggressivere Handelspolitik gegenüber Europa verfolgen, könnte dies Auswirkungen auf die Schweizer Exportmärkte haben. Auch wenn die Schweiz tendenziell von EU-Krisen profitiert, hätte ein geringeres Vertrauen der Anleger in die Sicherheit und Stabilität Europas insgesamt negative Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft. Die Schweiz verliert bereits Kunden und Geschäfte an die USA. Immer mehr internationale Unternehmen und Investoren meiden Europa – manche werden noch mit hohen Subventionen angelockt. Nicht nachhaltig.
Seit 2015 empfiehlt Takushi für Bundesbern und Schweizer Unternehmen, ihre Abhängigkeit von der EU proaktiv zu reduzieren und ihre Geschäftsanstrengungen in fiskalisch gesunden Schwellenländern zu verstärken, insbesondere in solchen, die proaktiv geopolitisch eher neutral sind und mit allen Mächten zusammenarbeiten können. Diese sind meist im globalen Süden (inklusive Südostasien).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die aktuelle geopolitische Lage für die Schweiz ein dringendes Thema ist. Christian Takushi betont, dass Europa, einschliesslich der Schweiz, vor den Herausforderungen einer sich wandelnden globalen Ordnung steht. Es ist unerlässlich, geopolitische Kompetenz zu entwickeln, um vorausschauend auf neue Entwicklungen und globale Trends reagieren zu können.
Die Rolle der Schweiz als sicherer Hafen könnte fortbestehen, ist aber angesichts der aktuellen geopolitischen Unsicherheiten und Gefahren angekratzt und nicht mehr garantiert. Um ihre führende Rolle im internationalen Finanzwesen zu behaupten, muss sich die Schweiz proaktiv an die sich verändernde Landschaft anpassen. In diesem Zusammenhang ist die Erkenntnis, dass sich die Welt in Richtung eines komplexen Netzwerks von Beziehungen und Allianzen bewegt, für Investoren und Entscheidungsträger von immenser Bedeutung.
Die bestehenden Schweizer Institutionen im Sicherheitsbereich haben leider nicht viel geholfen, was nicht erstaunt. Diese sind staatlich finanziert oder dem akademischen Konsens verschrieben. Unsere Entscheidungsträger bleiben in hohem Masse auf Informationen und Analysen aus London und Washington angewiesen.
Vorbereitung auf eine ungewisse Zukunft
Christian Takushis Erkenntnisse sind ein Weckruf für ein geschärftes Bewusstsein für geopolitische Dynamiken und eine Neubewertung von Investitionsstrategien angesichts sich wandelnder globaler Allianzen. Während wir auf die Ergebnisse entscheidender Wahlen warten, ist es sowohl für Unternehmensleiter als auch für Investoren von entscheidender Bedeutung, die umfassenderen Auswirkungen dieser Entwicklungen zu verstehen. Die Komplexität und die Interdependenzen der heutigen geopolitischen Landschaft erfordern proaktives Engagement, Anpassungsfähigkeit und die Verpflichtung zu fundierten Entscheidungen, während wir uns auf diesem unsicheren Terrain bewegen.
thebroker
Christian R. Takushi MA UZH ist Makroökonom und geopolitischer Stratege mit 34 jähriger Erfahrung als Forscher, Fund Manager und Stratege in der Investment Industrie. Er hat bedeutende politische wie auch wirtschaftliche Ereignisse vorausgesagt (u.a. CHF Breakout in 2011, CHF-EUR Peg Abbruch 2014, Brexit, Trump, Blockade von Handelsrouten, Rückkehr der Kriege). Dank seiner Expertise über Asien, Nahost und Lateinamerika berät er als unabhängiger geopolitischer Ökonom Regierungen, Parlamentsausschüsse, Zentralbanken, Unternehmen, Pensionskassen und Asset Manager.
Master in Makroökonomie – Mitglied des CFA Institute & Swiss Financial Analysts Association.
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