Prostatakrebs: Krankenversicherer zahlen noch nicht bei fokaler Therapie
6. September 2021 | Aktuell InterviewsEs erkranken in der Schweiz jährlich etwa 6 100 Männer an Prostatakrebs. Damit ist diese Krebsart die am häufigsten diagnostizierte Krebserkrankung bei Männern. Anstelle der Entfernung der gesamten Prostata kann bei der fokalen Therapie das NanoKnife® eingesetzt werden. Die Therapie nennt sich irreversible Elektroporation, kurz IRE. Hierbei wird mittels Hochspannung nur der vom Krebs befallene Anteil der Prostata behandelt. Dadurch werden gesundes Gewebe geschont und Nebenwirkungen reduziert.
Herr Dr. Bonkat, vor genau drei Jahren habe wir bereits einmal ein ausführliches Interview zum neuen Ansatz von fokaler Therapie bei Prostatakrebs geführt, damals für ein anderes Medium. Wie viele Patienten haben Sie seither so behandelt?
Wir haben im Mai 2017 unseren ersten Prostatakrebspatienten, übrigens auch den ersten Mann in der Schweiz überhaupt, mit dem NanoKnife® (IRE) behandelt. Bis heute haben sich gut fünfzig Männer mit einem lokalisierten Prostatakarzinom, d.h. einem Prostatakrebs, der auf die Prostata beschränkt ist, bei uns einer Therapie mittels IRE unterzogen.
Erklären Sie bitte die Funktion des NanoKnifes®.
Das NanoKnife® ist das medizinische Gerät mit dem die Behandlung (IRE, irreversible Elektrooperation) durchgeführt wird.
Wann wird die von Ihnen präferierte irreversible Elektroporation IRE angewendet?
Die irreversible Elektroportion ist prinzipiell für Patienten geeignet, die für eine fokale Therapie bei Prostatakrebs qualifizieren. Sie ist auch eine potenzielle Alternative für Patienten, die eine Operation nicht wünschen oder für diese aus gesundheitlichen Gründen ungeeignet sind. Nach gängiger Expertenmeinung ist die fokale Therapie des Prostatakarzinoms bei betroffenen Männern mit einem niedrigen bis mittleren Risikotumor eine Alternative zu den Standardbehandlungsoption wie aktive Überwachung, Operation Bestrahlung.
Wie funktioniert der Ansatz dieser fokalen Therapie?
Bei der Behandlung mittels IRE werden dünne Elektroden über den Damm in die vorher exakt definierten Tumorareale der Prostata platziert. Durch starke elektrische Felder entstehen Poren in den Zellwänden der innerhalb des Behandlungsfeldes gelegenen Krebszellen. Diese Poren verschliessen sich nicht mehr, daher der Begriff irreversible Elektroporation . Die Tumorzellen werden durch diese Porenbildung zerstört.
Neben der IRE-Therapie existieren auch andere fokale Therapien. Weshalb haben Sie sich nicht für die von Urologen häufiger gewählte HIFU-Methode entschieden?
Aktuell werden mehrere fokale Therapieverfahren zur Behandlung des Prostatakarzinoms angeboten. Die fokale Therapie mittels HIFU (Hochintensiver fokussierter Ultraschall) ist die am längsten und besten untersuchte Methode. Andere Verfahren sind die photodynamische vaskuläre Therapie der Prostata, die Kryotherapie und die irreversible Elektroporation (IRE). Prinzipiell können die fokalen Therapieoptionen in thermale (HIFU, Kryotherapie) und nicht-thermale Verfahren (IRE) unterteilt werden. Aufgrund des unserer Erfahrung nach niedrigeren Nebenwirkungspotenzials eines nicht thermischen Verfahrens haben wir uns für die IRE entschieden.
Wann muss die Prostata ganz entfernt werden?
Die komplette Entfernung der Prostata, die sogenannte radikale Prostatektomie, ist eine von zwei möglichen radikalen Therapieoption. Das Wort radikal darf hier allerdings nicht missverstanden werden, es beschreibt lediglich, dass das gesamte Organ behandelt wird. Zu den radikalen Therapieoption zählt auf der einen Seite die operative Entfernung der Prostata, auf der anderen Seite die Bestrahlung des Organs. In diesem Zusammenhang von Müssen zu sprechen, ist schwierig, da in jedem Fall die persönliche Situation des Patienten besprochen werden muss. Prinzipiell kann aus medizinischer Sicht bei jedem Patienten mit einem lokalisierten Prostatakarzinom die radikale Prostataentfernung empfohlen werden, dies entspricht jedoch nicht unserem Ansatz.
Was sind die Risiken und Nebenwirkungen bei radikaler Entfernung der Prostata?
Die möglichen Risiken bei radikaler Prostataentfernung sind mannigfaltig. Wobei auch an dieser Stelle direkt angemerkt werden muss, dass durch die Entwicklung der Operationstechnik unter Zuhilfenahme von roboterassistierten Systemen (Schlagwort Da Vinci) schwerwiegende Komplikation, zumindest in erfahrenen Händen, sehr selten geworden sind. Allgemein muss immer das Risiko einer Urininkontinenz und das Risiko einer erektilen Dysfunktion genannt werden. Da ich viele Patienten hinsichtlich einer Zweitmeinung berate, ist mir bekannt, dass bei der Patientenaufklärung häufig die weiteren funktionellen Probleme wie Orgasmusstörungen, Orgasmus-assoziierte Inkontinenz, schmerzhafter Orgasmus sowie Libidoverlust nicht thematisiert werden. Dies und weitere sind potenzielle, die Lebensqualität einschränkende Komplikationen, die natürlich mit dem Patienten und idealerweise der Partnerin thematisiert werden sollten.
Welche Risiken bestehen bei der IRE-Methode?
Das Risiko für eine Urininkontinenz liegt unserer Erfahrung nach im sehr niedrigen Prozentbereich. In unserem Patientenkollektiv hat kein Patient mit einer Urininkontinenz zu kämpfen. Hinsichtlich der Erektion decken sich unsere Erfahrung mit der Literatur. Das heisst, wenn ein Patient vor dem Eingriff mit der IRE eine gute Erektion hat, so hat er eine gut 80-prozentige Chance, diese auch zu behalten. Weitere Komplikationen sind sehr selten. Wobei jedoch angemerkt werden muss, dass es sich bei der IRE nicht um Hand auflegen handelt, sondern diese Technik eine solide Destruktion des Tumorgewebes induziert. So haben wir bei einem Patienten eine kleine Verletzung des Enddarms bemerkt, die eine längere Ableitung via Blasenkatheter notwendig machte. Glücklicherweise kam es mittlerweile zur kompletten Ausheilung. Diese Erfahrung macht uns allerdings demütig und erinnert uns daran, dass man auch bei fokaler Prostata Therapie mit Komplikation rechnen muss. In Bezug auf unser Gesamtkollektiv war dies jedoch die einzig nennenswerte Komplikation.
Mit der IRE-Methode bieten Sie eine Alternative zur totalen Entfernung der Prostata. Kann sie bei allen Patienten angewendet werden?
Bei der Indikationsstellung zur Therapie mit der IRE legen wir strengste Anforderung an die Indikationsstellung. So gilt es, bestimmte Kriterien zu beachten. Hierzu zählen unter anderem der sogenannte Gleason-Score, der die Aggressivität eines Prostatakarzinoms anzeigt, ein lokal begrenztes Tumorwachstum sowie eine Lebenserwartung des Patienten über zehn Jahre. Zudem ist wichtig, dass es eine exakte Übereinstimmung zwischen einem vor der Therapie durchgeführten mpMRT (multiparametrische Magnetresonanztomographie) der Prostata und einer in der Folge durchgeführten Fusions- und Mappingsbiopsie vorliegt. Unserer Erfahrung nach wird diese exakte Diagnostik häufig jedoch den Patienten nicht angeboten, sodass anschliessend in vielen Fällen erneut eine Biopsie durchgeführt werden muss. Insgesamt haben wir viel mehr Anfragen für eine fokale Therapie, als letztendlich durchgeführte Behandlung. Dies liegt insbesondere an unseren strikten Auswahlkriterien.
Wird die IRE-Methode auch bei anderen Tumoren angewendet?
Die Technik kommt vor allem bei Tumoren der Leber und der Bauchspeicheldrüse zum Einsatz. Andere urologische Tumoren werden derzeit nicht mit ihr therapiert.
Vor drei Jahren gab es noch keine Langzeitdaten für diese Methode. Wie sieht es heute aus?
Mit Langzeitdaten von mehr als zehn Jahren können wir leider weiterhin nicht dienen. Jedoch gibt es vermehrt publizierte Fallserien mit positiven Ergebnissen. Unserer Erfahrung nach sind die Ergebnisse der IRE vergleichbar mit denen andere fokaler Therapieansätze. Eine besonnene Indikationsstellung vorausgesetzt, liegt das krebsspezifische Überleben nach fünf Jahren bei 100 Prozent und das sogenannte failure-free Survival (FFS) bei 88 Prozent. FFS bedeutet in diesem Zusammenhang: keine radikale oder systemische Therapie, keine Metastasen und kein Todesfall aufgrund des Prostatakarzinoms.
Prostatakrebs ist neben dem weissen Hautkrebs die häufigste Krebsursache beim Mann und die zweithäufigste Krebstodursache. Wie gut sind die Erfolgsaussichten mit der neuen Therapie?
Die Erfolgsaussichten mit der IRE oder generell mit einer fokalen Therapie bei Prostatakrebs definiere ich wie folgt: Im besten Fall erreichen wir komplette und dauerhafte Tumorfreiheit. Im zweitbesten Fall kaufen wir uns Zeit. Zeit ein möglichst nicht durch Nebenwirkung eines radikalen Behandlungskonzeptes eingeschränktes Lebens führen zu können. Hinsichtlich der Zahlen möchte ich auf die vorangegangene Frage, respektive Antwort verweisen.
Der Gang zur Gynäkologin oder zum Gynäkologen ist für Frauen reine Routine. Anders sieht es beim Besuch des Urologen aus. Was sind die Gründe?
Aufgrund der natürlichen Biologie setzen sich Frauen schon im Jugendalter intensiver mit dem eigenen Körper auseinander. Durch die schon frühen Kontakte zwischen junger Frau und Gynäkologin oder Gynäkologe werden Hemmschwellen abgebaut. Männer setzen sich meist erst bei Auftreten von Problemen mit dem eigenen Körper auseinander. Zudem passt es häufig nicht in das Selbstverständnis von Männern krank zu werden oder zumindest das Risiko zu erkennen, an einer Krebserkrankung leiden zu können. Da wird häufig auch der Kopf in den Sand gesteckt. Meiner Erfahrung nach hat sich dies jedoch in den letzten Jahren deutlich gebessert. So habe ich viele junge Patienten, die sich in jungen Jahren bereits für eine urologische Kontrolle oder Vorsorge interessieren.
Ab wann sollten alle Männer zur Prostata-Untersuchung gehen und wie funktioniert sie?
Wir empfehlen eine initiale Krebsvorsorge mit Anfang 40. Hierbei gilt es Risikopatienten zu identifizieren. Die Prostatakrebsvorsorgeuntersuchung umfasst eine allgemeinkörperliche Untersuchung, inklusive Tastuntersuchung der Prostata sowie die Abnahme des PSA-Wertes.
Weshalb sind PSA-Tests immer wieder in der Kritik?
Aufgrund des PSA-Wertes sind in den letzten Jahren zu viele Prostatabiopsien indiziert und durchgeführt worden. Dies führte zu einer Überdiagnostik und Übertherapie von Prostatatumoren. Dem entgegen arbeiten wir schon seit über fünf Jahren mit einer differenzierten Diagnostik. Das heisst: sollte der PSA-Wert suspekt sein, würden wir den Parameter primär kontrollieren. Bei weiterer krebsverdächtiger Erhöhung führen wir ein sogenanntes mpMRT der Prostata durch. Sollte diese Untersuchung zusätzlich einen suspekten Befund zeigen, so würde dieser hiernach kontrolliert (Schlagwort: perineale mpMRT Fusions- und Mappingbiopsie) und nicht, wie früher häufig, blind biopsiert werden. In Abhängigkeit des Risikoprofils des diagnostizierten Tumors würden dann weitere Schritte mit dem Patienten in Ruhe besprochen werden. Die meisten Prostatakrebspatienten qualifizieren heute für eine aktive Überwachung. Dies bedeutet, dass nicht operiert oder bestrahlt werden muss, sondern regelmässige Kontrollen durchgeführt werden.
Vor drei Jahren mussten die Patienten die Kosten bei fokaler Therapie, ob IRE oder HIFU, noch selbst bezahlen, weil die Krankenversicherer die Behandlung noch als experimentell angesehen haben. Hat sich das inzwischen geändert?
Die fokale Therapie ist weiterhin eine Selbstzahlerleistung. Die Beschreibung dieses Therapieansatzes als experimentell ist leider gegenwärtig weiterhin geläufig.
Mit welchen Kosten muss ein Patient bei einer IRE-Behandlung rechnen?
Die Behandlungskosten liegen bei um die 20’000 Franken. Wobei ich an dieser Stelle gerne anmerken möchte, dass der Grossteil der Kosten Materialkosten und nicht das Honorar des behandelnden Arztes sind.
Wann, denken Sie, wird die IRE-Therapie zur Standard-Therapie beim lokalisierten Prostatakrebs?
Ich kann mich hier nur wiederholen. Meines Erachtens ist die fokale Therapie bei lokalisiertem Prostatakrebs eine von mehreren Therapieoption. Sie ist nicht die sogenannte magic bullet und sicherlich nicht für jeden Krebspatienten geeignet. Ich musste aufgrund dieser Meinung lokal und auch schweizweit einige Schläge einstecken (Anmerkung: PULS: Falsche Versprechen – Neue Therapien gegen Prostatakrebs werfen Fragen auf vom 01.10.2018). Ich bin jedoch überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein. Interessanterweise wurde auch im Mai dieses Jahres in der aktualisierten S3-Leitlinie Prostatakarzinom (der umfangreichsten Leitlinie zur Behandlung des Prostatakrebses im deutschsprachigen Raum) die fokale Therapie erstmals als Therapieoption bei Patienten mit einem lokal begrenzten Prostatakarzinom genannt. Vergleicht man die eher ablehnende Haltung in den vergangenen Jahren, so ist dies ein wichtiger, und wie ich denke, grosser Schritt in die richtige Richtung
Wann werden die Krankenkassen für fokale Therapien bezahlen?
Die fokale Krebstherapie ist ja an sich nichts Neues. So werden bereits heute Brustkrebs, Schilddrüsenkrebs, Lungenkrebs usw. fokal behandelt. Die Therapiekosten werden von Seiten der Krankenkasse hier natürlich übernommen. Bei der fokalen Prostatakrebstherapie kann sich dies allerdings noch um Jahre hinziehen. Als Argument gegen eine Bezahlung wird immer von fehlenden Langzeitdaten und Vergleichsstudien zum sogenannten Goldstandard in der Therapie des Prostatakarzinoms, sprich Operation oder Bestrahlung, gesprochen. Langzeitdaten werden kommen, aber Vergleichsstudien wird es meines Erachtens nicht geben. Dies liegt auf der einen Seite daran, dass aufgrund von statistischen Vorgaben mehrere tausend Patienten für eine solche Studie mit einem langen Beobachtungszeitraum rekrutiert werden müssten. Auf der anderen Seite kann ich mir nur schwer vorstellen, dass sich Prostatakrebspatienten per Losentscheid (Schlagwort: Randomisierung) in einen fokalen oder radikalen Behandlungsarm einer solchen Studie einschliessen lassen würden.
PD Dr. med. Gernot Bonkat studierte Humanmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Julius-Maximilians-Universität Würzburg. 2007 kam er ins Universitätsspital Basel und schloss dort seine Facharztausbildung für Urologie ab. 2012 folgte ein einjähriger klinisch-wissenschaftlicher Aufenthalts am renommierten Tygerberg-Hospital der Universität Stellenbosch, Südafrika. 2013 habilitierte sich Gernot Bonkat und erhielt die Lehrbefugnis für das Fach Urologie an der Universität Basel. Bis zur Gründung von alta uro im Jahr 2016 war Gernot Bonkat am Universitätsspital Basel, zuletzt als Leitender Arzt tätig.