Versicherungs-Deckung politischer Risiken am Beispiel von Afghanistan
26. August 2021 | AktuellDie Situation rund um den Flughafen von Kabul spitzt sich wenige Tage vor dem unmittelbar bevorstehenden Ende der militärisch gesicherten Evakuierung erheblich zu. Doch zuerst der vorsichtige Versuch einer humanitären Momentaufnahme.
Sowohl die deutschen, US-amerikanischen und britischen Botschaften warnen vor Terrorgefahr rund um den Hamid Karzai International Airport in Kabul. Aufgrund der Sicherheitsdrohungen vor den Toren des Flughafens rät die US-Botschaft ihre sich noch in Afghanistan befindlichen Bürger, derzeit den Flughafen von Kabul zu meiden. Ein Abbruch der Evakuation könnte bereits in diesen Stunden zur bitteren Gewissheit werden.
Ein Flugzeug der Swiss hat im Auftrag des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten EDA am Dienstagmorgen, 24. August, 219 Menschen aus der usbekischen Hauptstadt Taschkent, die zuvor aus Kabul evakuiert worden waren, nach Zürich ausgeflogen. Natürlich ist das von Krisen und Gewalt geschüttelte Lynd seit Langem keine Touristendestination. Betroffen waren aber 141 lokale Mitarbeiter des Kooperationsbüros der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA mit ihren Familien sowie 78 weitere Personen aus Afghanistan, Deutschland und Schweden.
Bis Redaktionsschluss konnten 292 Personen mit Schweizer Bezug ausgeflogen werden. 15 Schweizer Staatsbürger befinden sich noch vor Ort. Derweil fordert eine Petition mit 23 000 Unterschriften den Bundesrat auf, 5 000 Schutzsuchende mit einem besonderen Fokus auf Frauen und Mädchen aus Afghanistan zumindest vorläufig aufzunehmen.
Die Evakuierung
Insgesamt wurden seit Beginn der Evakuierungsflüge am 14. August mehr als 82 300 Menschen aus Afghanistan ausgeflogen, der grösste Teil durch das US-Militär. Doch auch zahlreiche andere Staaten beteiligten sich an der Rettungsmission, darunter Grossbritannien, Frankreich, Italien, Indien, Japan und Kanada. Bis zu dieser Stunde hat die deutsche Bundeswehr mehr als 5 193 Menschen aus Kabul ausgeflogen.
Die USA halten vorerst an ihrem Plan fest, ihre Truppen bis zum 31. August abzuziehen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hingegen sprach sich für den Weiterbetrieb des Flughafens in Kabul aus. Bei der Videokonferenz der G7-Staaten betonte er die Entschlossenheit der Nato, den Kampf gegen den Terrorismus fortzusetzen. Die Alliierten würden sicherstellen, dass Afghanistan nicht wieder zu einem Rückzugsort für Terrorgruppen werde.
18 Millionen Menschen in Afghanistan benötigen dringend humanitäre Hilfe
Die humanitäre Lage im Land ist gemäss dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes IKRK nach vierzig Jahren Krieg, Gewalt und Misswirtschaft sowie den Auswirkungen von Covid-19 und der derzeitigen Dürre katastrophal. Das IKRK geht davon aus, dass sie ihre Arbeiten ohne Störung der Taliban durchführen können. Luftbrücken seien jedoch auch für das Rote Kreuz momentan nicht möglich.
18 Millionen Menschen sind bereits dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Organisationen der Vereinten Nationen UNO bleiben mit einer Mehrheit ihrer 300 ausländischen und 3 000 einheimischen Mitarbeitenden weiterhin in Afghanistan. Die UNICEF wurde von den Taliban zur eigenen Sicherheit gebeten in einigen Provinzen die Arbeit zu unterbrechen, bis dort die Ordnung wiederhergestellt sei. Man wolle aber, dass die Organisation bleibe, um die Arbeit für die Kinder fortzusetzen.
Versicherung politischer Risiken in Afghanistan
thebroker hat bei Rupert Cutler, Spezialist politischer Risiken und Inhaber der Special Risk and Insurance Consultancy Holtarka nach der Absicherung politischer Risiken, insbesondere im Hinblick auf die Lage in Afghanistan, nachgefragt. Er meint, dass Versicherungspolicen für politische Risiken die nun drohenden Zahlungsausfälle sowie die Beschlagnahmung, Enteignung und Entzug von Betriebsgenehmigungen abdecken. Es konnten auch Sachbeschädigungen wegen Krieg und Terrorismus abgeschlossen werden. Durch eine Police für politische Risiken abgedeckt sind auch Vermögenswerte wie beispielsweise Fahrzeuge, die von den Taliban beschlagnahmt werden.
Sofern durch bedrohte Personen oder Betriebe benötigt, gibt es laut Cutler immer noch Deckungsmöglichkeiten im Versicherungsmarkt. Aber die Versicherer wollten ihr Risiko vorerst vermindern. Es könne auch zu Prämienerhöhungen kommen, da die Versicherer ihr Engagement gegenüber «afghanischen Risiken» begrenzen möchten. «Wahrscheinlicher ist jedoch, dass bis mehr über die neue Taliban-Regierung bekannt ist, viele Versicherer die Angebote an neue Bedingungen knüpfen werden», so Cutler weiter. Derzeit sei auch ungewiss, ob es Sanktionen von westlichen Ländern gegen Afghanistan geben werde. Falls die diplomatischen Beziehungen zusammenbrechen würden, könnte es jedoch sein. Solche Sanktionen könnten es den Versicherern erschweren, Policen abzuschliessen.
Die Verfügbarkeit eines Versicherungsschutzes wird vorerst wahrscheinlich auf diejenigen beschränkt sein, die bereits vor Ort sind. Für die Nennung von Schadenszahlen im Bereich Betriebsunterbrechungen aufgrund des zu erwartenden wirtschaftlichen Stillstands sei es noch zu früh.
Die Schweizerische Exportrisikoversicherung SERV hat nach eigenen Angaben kein Engagement in Afghanistan und somit auch keine Schadenfälle zu verzeichnen.
Binci Heeb