Versicherungsbetrug: Was erwartet die Sünder?

12. Februar 2021 | Aktuell
Bild von Vladyslav Topyekha auf Pixabay Kopie

Das Auto mit Vorsatz in einen Unfall verwickeln, bei Einbruch mehr Schmuck als gestohlen melden, oder vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit sind nur einige Beispiele von Versicherungsbetrug. 

Versicherungsmissbrauch liegt dann vor, wenn Versicherte bewusst zu Unrecht Versicherungsgelder beziehen, oder versicherte Betriebe Prämien hinterziehen. Schäden in Millionenhöhe tragen nicht nur die grosse Mehrzahl der ehrlichen Prämienzahlenden, sondern auch der Werkplatz Schweiz. Versicherungen bekämpfen Versicherungsmissbrauch mit aller Härte. Die Suva zum Beispiel beschäftigt Spezialisten für die Überprüfung der Verdachtsfälle und bekämpft den Betrug konsequent. 2019 gab es über 1’800 Meldungen mit Verdacht auf Missbrauch. Seit Einführung der Missbrauchsbekämpfung 2007 konnten über 181 Millionen Franken eingespart werden, so die Suva.

Detektive im Einsatz

Während Jahren setzte der Sozialversicherer in seinem Kampf gegen Versicherungsbetrüger auch Detektive ein. Im Oktober 2017 stoppte sie deren Einsatz zunächst per sofort, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte EGMR solche Überwachungen als Verletzung der Privatsphäre bezeichnete. Die Strassburger Richter begründeten ihr Urteil damit, dass in der Schweiz die gesetzlichen Grundlagen dafür fehlten. Eine Gesetzesanpassung zum Einsatz von Detektiven war gefragt. Diese erhielt die Schweiz mit dem klaren Ja zum Observationsgesetz in der Eidgenössischen Volksabstimmung am 25.11.2018. Es erlaubt den Sozialversicherern seit Oktober 2019 wieder Detektive einzusetzen, was die Versicherungen aber nur als Ultima Ratio tun. Die eingesetzten Detektive müssen über eine Bewilligung des Bundesamtes für Sozialversicherung BSV verfügen.

Versicherungsbetrug ist immer ein Offizialdelikt

Da gemäss Art. 146.1 StGB Betrug ein Offizialdelikt ist, ermittelt die Polizei in diesen Fällen, selbst wenn eine Anzeige wieder zurückgezogen wird. Der entsprechende Gesetzestext im Wortlaut: Wer in der Absicht, sich oder einen andern unrechtmässig zu berei­chern, jemanden durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tat­sachen arglistig irreführt oder ihn in einem Irrtum arglistig bestärkt und so den Irrenden zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selbst oder einen andern am Vermögen schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, oder Geldstrafe bestraft. Im Fall von gewerbsmässigem Betrug kann sich die Freiheitsstrafe auf bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe nicht unter 90 Tagessätzen erhöhen.

Bemerken Experten einen Versicherungsbetrug, kann der Versicherungsgeber den Vertrag auflösen. Möglich ist zudem früher erbrachte Leistung zurückzuverlangen und den Betrüger anzuzeigen. Eine solche Anzeige kann nicht mehr zurückgezogen und nur durch die Ermittlungsbehörde oder den Richter eingestellt werden.

Sozialversicherung: Jeder Bürger darf bis zu einem Jahr lang überwacht werden

Gemäss Artikel 43.a, Absatz 1 und 2 Observation kann der Versicherungsträger eine versicherte Person verdeckt observieren, dabei Bild- und Tonaufzeichnungen machen und technische Instrumente zur Standortbestimmung einsetzen, wenn: 1) aufgrund konkreter Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass die versicherte Person unrechtmässig Leistungen bezieht oder zu erhalten versucht. Und 2) die Abklärungen sonst aussichtslos oder unverhältnismässig erschwert würden.

Artikel 43.a, Absatz 5 im Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts ATSG regelt klar, dass eine Observation an höchstens dreissig Tagen innerhalb von sechs Monaten ab dem ersten Einsatztag stattfinden darf. Zulässig ist maximal eine Verlängerung um weitere sechs Monate, vorausgesetzt, es bestehen dafür hinreichende Gründe.

Häufigste Betrugsfälle bei Hausrat, Privathaftpflicht und Motorfahrzeugen

Herr M., Leiter des Ressorts zur Bekämpfung von Versicherungsmissbrauch bei Helvetia und ehemaliger Polizist, auf die Frage in welchem Bereich die grössten Betrugsfälle feststellbar seien: «In den Bereichen Hausrat, Privathaftpflicht und Motorfahrzeug». Oftmals würden bei einem Schadenfall Beiträge geltend gemacht, die den tatsächlichen Schaden überstiegen oder ein Ereignis würde bewusst so beschrieben, dass der Schaden trotz fehlender Versicherungsdeckung beglichen würde. Sobald Auffälligkeiten beim Schadenablauf bestünden, würde der Fall intern geprüft und der Kunde in der Folge bei Verdacht oder Widersprüchen direkt damit konfrontiert. 

In harten Zeiten wie jetzt und steigender Arbeitslosigkeit steigt die Versuchung, durch «Bschiss» der Versicherungen schnell zu Geld zu kommen, eindeutig. Längst würden auch Kleinstschäden konsequent gemeldet. Damit gehören auch die berühmten «gestohlenen» Regenschirme der Vergangenheit an.

Versicherungsbetrug auch bei Ärzten

Es sind nicht immer Otto Normalverbraucher und Frau Muster, die Betrug begehen. Es trifft zum Beispiel auch einen kleinen, aber sehr aktiven Teil der Ärzteschaft, wie im Fall eines Psychiaters aus Zürich, der bis 2018 Flüchtlinge in seiner Praxis behandelte. Er betrog die Krankenkassen um mindestens zwei Millionen Franken, indem er während acht Jahren fiktive Behandlungen verrechnete. Immerhin rund 60 Fälle von Medizinern landen jährlich schweizweit vor Gericht. Der fehlbare Psychiater wurde wegen gewerbsmässigen Betrugs und mehrfacher Urkundenfälschung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Den Versicherungen musste er einen Schadenersatz von 1,3 Millionen Franken bezahlen.

Unvollständige Beispiele populärer Betrugsversuche

Velo: Kein Gegenstand wird in der Schweiz häufiger entwendet als Velos. Rund 40’000 Fahrräder verschwinden so pro Jahr. Laut Basler Versicherung sind die Diebe in den Städten Thun, Biel und Basel am aktivsten. Doch auch Bern, Zürich und Genf stehen auf der Liste ganz oben. Bloss Diebstahl ist nicht immer gleich Diebstahl. Die Versuchung seinen alten Drahtesel irgendwo abzustellen, den «Verlust» Polizei und Versicherung zu melden, um so ein neues Velo zu ergattern ist nicht gerade klein. Denn nur in jedem 50. Fall wird ein verschwundenes Zweirad wieder aufgefunden. In der Regel hat die Versicherung dann schon lange bezahlt.

Auto: Klassiker sind geplante Verkehrsunfälle. Betrüger verwickeln brave Automobilisten vorsätzlich in einen Auffahr- oder Vortrittsunfall, um von der Versicherung des ahnungslosen Opfers völlig überhöhte Kosten für den Schaden am eigenen, bewusst aufgemotzten Schrottwagen, zu kassieren. Diese teure und auch nicht ungefährliche Masche nimmt leider stetig zu. Das geschärfte Augenmerk von Polizei und Versicherung allerdings auch.

Schmuck: Bei echten oder inszenierten Einbrüchen tauchen auf der Liste entwendeter Wertsachen gerne einmal auch die eine oder andere Uhr, Goldschmuck oder Diamanten auf, die es zu keinem Zeitpunkt gegeben hat. Wer solche Phantom-Preziosen bei der Versicherung geltend macht, hat sich meist zunächst mit dem Vorwurf der Unterdeckung bei seiner Police auseinanderzusetzen. Doch selbst wenn die nie vorhanden Gegenstände bewusst versichert wurden und nun plötzlich gestohlen sein sollen, besteht Versicherungsbetrug. Ein «Nichts» zu versichern, schafft keinen Wert. Aber ein Treffen mit der Staatsanwaltschaft.

Handy: In der Schweiz gibt es fast doppelt so viele geschaltete mobile Geräte, wie Einwohner. Und die Geräte sind teuer, ihre Reparatur auch. Ein neues iPhone geht rasch einmal zu Boden, der Ersatz des defekten Displays dann ins gute Tuch. Zum Glück ist das Malheur einem Dritten passiert, dessen Haftpflichtversicherung nun für den Schaden aufkommen soll. Tut sie. Aber in der Regel nur, wenn dieser Dritte kein Familienmitglied und auch tatsächlich Verursacher ist.

Die Vertuschung des Eigenschadens und Anmeldung bei der Haftpflichtversicherung sei Gang und Gäbe, weiss ein Broker. Alles andere sei bereits Betrugsversuch. Die Beweislast liege beim Handybesitzer. Dem Broker sei es nicht nur einmal passiert, dass ein Kunde ihn für die «schlechte Beratung» gescholten hätte, weil er ihn nicht auf diese Betrugsmöglichkeit aufmerksam gemacht hatte. Für die Kunden sei ein solches Verhalten kein Betrug, sondern einfach eine administrative Notwendigkeit.

Hersteller und deren lizenzierte Verkaufsstellen bieten selber zeitlich beschränkte Versicherungen an. Jeder muss selber entscheiden, ob das Schadensrisiko die nicht gerade billigen Prämien rechtfertigt. Wer hingegen über eine Hausrat-Kaskoversicherung verfügt, wie sie zum Beispiel die Mobiliar anbietet, braucht sich keine Gedanken über seine Kommunikationsgeräte zu machen. Beschädigungen an Display, Handy oder Tablet sind bei geringem Selbstbehalt gedeckt.  

Feuer: Zum Schluss noch einmal ein Klassiker, welcher jedoch weitgehend der Vergangenheit angehört, ein allfälliger Versuch, der heute in aller Regel aufgedeckt wird. Der Begriff «warme Sanierung» ist Allgemeingut. Er umreisst das Vorhaben eine heruntergekommene Liegenschaft durch geplante Brandstiftung bis auf die Grundmauern niederzubrennen und dafür den Versicherungsbetrag einzustecken. Heutige Ermittlungstechniken der Behörden machen es den Betrügern jedoch immer schwerer durchzukommen. Wer es trotzdem noch versucht und überführt wird, erwartet hohe Geldstrafen und ein langer Gefängnisaufenthalt. Die Anklage lautet nicht nur auf Versicherungsbetrug, sondern auch auf Gefährdung von Menschenleben.

Versicherungsbetrug ist kein Kavaliersdelikt. Doch die hier aufgezeigten Beispiele sollen unter keinen Umständen den Eindruck erwecken, jeder Versicherungsnehmer erhoffe sich durch falsche Angaben Leistungen zu erschwindeln. Das Gegenteil ist der Fall. Die Kunden der Broker und Versicherungen suchen keine Vorfälle, sondern hoffen solchen nie zu begegnen. Ihre Policen bieten Schutz, keinen Lottogewinn.

Binci Heeb


Tags: #Offizialdelikt #Versicherungsbetrug #Versicherungsmissbrauch