Versicherungsprobleme bei immer mehr Long-Covid-Betroffenen

5. Juli 2021 | Aktuell

Die Langzeitfolgen der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten Coronavirus-Krankheit sind immer noch nicht ausreichend erforscht. Dennoch spricht die Wissenschaft von Long Covid, wenn die Symptome mindestens 12 Wochen nach der akuten Erkrankung weiterbestehen, die Verbindung mit dem Virus ist jedoch oft nicht gleich erkennbar.

Gemäss Johns-Hopkins-Universität waren gemäss den aktuellsten Zahlen in der Schweiz: 703 334 an Covid-19 infiziert und 10 894 daran verstorben. Weltweit wurden 183 540 955 Virusträger gezählt, wovon 3 972 669 den Tod fanden. Auf Basis von Studien aus den USA und Grossbritannien kann gemäss konservativen Schätzungen davon ausgegangen werden, dass alleine in der Schweiz bereits durch die erste Welle geschätzte 10 000 positiv getestete Personen an Long-Covid erkrankten. Die Dunkelziffer ist vermutlich weitaus höher: Britische Experten gehen gar von einer Zahl von mehr als zehn Prozent aus, andere Forschende gar von einem Viertel bis zu einem Drittel der Corona-Infizierten.

Das Bundesamt für Gesundheit BAG selber kann derzeit noch keine genauen Zahlen von Long-Covid-Erkrankten liefern. Es vermutet jedoch, dass rund fünf Prozent der Personen, die sich am Corona Virus ansteckten aber einen milden Krankheitsverlauf hatten, sechs Wochen nach der akuten Phase noch Symptome haben. Mehr als 80 Prozent mit schwerem Verlauf erkrankte Personen hätten zwei Monate nach der akuten Phase noch deutlich feststellbare Symptome. Laut BAG gibt es dabei zunehmend Meldungen von Long-Covid Betroffenen trotz zunächst nur leichtem Verlauf in der Akutphase, jetzt besonders bei jüngeren Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern.

Long-Covid Symptome

Die am häufigsten auftretenden Symptome sind ebenso zahlreich wie ernst: Müdigkeit, Erschöpfung, Kurzatmigkeit, Belastungsintoleranz, Gelenkschmerzen, Schmerzen/Druck/Brennen in der Brust und Schlaflosigkeit. Zu weiteren Langzeitfolgengehören: Denk- und Konzentrationsschwierigkeiten, Depression, Muskelschmerzen, Husten, intermittierendes Fieber oder Herzrasen. Schwerwiegende Langzeitkomplikationen können die Entzündung des Herzmuskels und/oder desHerzbeutels, Anomalien der Lungenfunktion, Nierenschädigung, Hautausschlag, Haarausfall, Geruchs- und Geschmacksprobleme, Schlafprobleme, Konzentrationsschwierigkeiten, Gedächtnisprobleme, Depressionen, Angstzustände und Stimmungsschwankungen sein. 

Während gewisse Symptome von Anfang an auftreten, manifestieren sich andere erst Wochen später. Und hier liegen die Probleme der Zuständigkeit von Versicherungen. Kurzatmigkeit und Belastungsintoleranz bei körperlicher Belastung sind in der Akutphase beispielsweise kein Thema, da man sich nicht fit genug fühlt, um überhaupt an Sport zu denken. Es sind keineswegs nur alte oder mit einer Vorerkrankung belastete Menschen, die Long-Covid trifft. Auch sehr fitte Personen ohne Vorerkrankung oder mit nur milden Symptomen kann es treffen. Für diese Patient*innen wird es oftmals schwierig, Monate nach der Akutphase diese nachträglichen, neuen Symptome mit dem Corona Virus in Verbindung zu bringen und Ihre Ärzte vom Zusammenhang zu überzeugen, was wiederum zu Fragen bei der Kostendeckung führen kann.

Neues Verfahren zur Long-Covid-Erkennung

Ein Forschungsteam des Max-Planck-Zentrums für Physik und Medizin in Erlangen, der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und des Deutschen Zentrums für Immuntherapie fand heraus, dass sich die roten und weissen Blutkörperchen bei Long-Covid-Patienten in Grösse und Verformbarkeit veränderten. Mittels eines neu entwickelten Verfahrens, der sogenannten Echtzeit-Verformungszyometrie, werden Blutzellen durch einen engen Kanal geschossen und von einer Hochgeschwindigkeitskamera fotografiert. Bis zu 1000 Blutkörperchen können so pro Sekunde nach Form und Grösse beurteilt werden. Das Verfahren wurde vor Kurzem mit dem hoch dotierten Medical Valley Award ausgezeichnet.

Neue Therapien: Hilft Blutwäsche Covid-Patienten ?

Patient*innen haben nach einem schweren Verlauf der Krankheit mit künstlicher Beatmung heute noch nur eine Überlebenschance von 50 Prozent. Das heisst, dass jeder zweite Patient stirbt. In der Klinik Havelhöhe bei Berlin gingen die Mediziner bereits 2020 einen unkonventionellen Weg. Sie behandeln Patienten mit sehr schweren Krankheitsverläufen mit einem speziellen Blutwäsche-Verfahren, das eigentlich für Herzinfarkt-Patienten entwickelt wurde. Von den auf der Intensivstation behandelten Patient*innen erholten sich einige sehr schnell.

Die vom Unternehmen Pentracor in Brandenburg entwickelte Blutwäsche-Therapie basiert auf der Annahme, dass Covid-19-Erkrankte nicht zwingend durch das Virus versterben, sondern durch eine Überreaktion des Immunsystems. Noch fehlt eine klinische Studie des Verfahrens, denn dem Unternehmen fehlt das dafür nötige Geld. 

Wie die NZZ schrieb, wollen auch Ärzte aus Amerika klären, ob Corona-Infektionen die Gefahr für potenziell tödliches Herzflimmern erhöhen. Wissenschaftler rund um Zsuzsanna Varga vom Universitätsspital Zürich konnten beweisen, dass Sars-CoV-2 meist nicht den Herzmuskel, sondern die Blutbahnen des Kreislauforgans attackiert. Bei 19 Patient*innen mit ausgeprägten Covid-19-Symptomen wurde die Blutwäsche angewandt. Auch in Zürich verringerten sich die Symptome spürbar.

Long Covid und Entschädigung bei Erwerbsausfall

Die Entschädigung bei Erwerbsausfall aufgrund von Long Covid hängt vom jeweiligen Arbeitsverhältnis und der Versicherungssituation ab. Arbeitgeber sind zur Lohnfortzahlung verpflichtet. Die Dauer der Lohnfortzahlung hängt davon ab, ob der Arbeitgeber über eine Krankentaggeldversicherung verfügt. Während die meisten Taggeldversicherungen einen Anspruch auf 80 Prozent des Lohns während 720 Tagen geben, entscheidet die Anzahl der Dienstjahre beim Fehlen einer solchen über die Dauer der Lohnfortzahlung

Bei Selbständigerwerbenden ist ausschlaggebend, ob sie eine Krankentaggeldversicherung abgeschlossen haben. Eine Erwerbsunfähigkeitversicherung bezahlt nach Ausschöpfung des Krankentaggelds eine Rente. Bei langanhaltender Arbeitsunfähigkeit wird eine frühzeitige Meldung bei der Invalidenversicherung IV nötig. Gemäss BAG ist zum aktuellen Zeitpunkt noch unklar, wie die verschiedenen Symptome von Long-Covid versicherungsrechtlich eingestuft werden.

Im Kassensturz vom 22. Juni werden Beispiele von Versicherungen gezeigt, welche sich weigern Long-Covid-Leistungen zu zahlen. Sie stellen sich unter anderem auf den Standpunkt, dass ein einfaches Arztzeugnis nicht ausreiche, sondern ein Bericht mit neuen, wichtigen medizinischen Informationen Voraussetzung für die Kostenübernahme sei. Doch gerade diese sind derzeit wissenschaftlich noch nicht hieb- und stichfest, da längerfristige Studien seit dem Auftreten der Spätfolgen zeitlich noch nicht möglich sind. Die zentrale Frage ist, wann gilt ein(e) Covidpatient*in als genesen. Sind erst Wochen nach der Akutphase auftretende Long-Covid-Folgen von Versicherung und Arbeitgeber als neue Krankheit zu bewerten? Es besteht dringend Erklärungsbedarf.  

Weitere Informationen und Ratgeber des Long-Covid-Netzwerks von Altea finden Sie hier.
Prävention in der Gesundheitsversorgung und Betreuung von Long-Covid-Betroffenen von Gesundheitsförderung Schweiz hier

Binci Heeb


Tags: #Blutwäsche #Blutwäsche-Therapie #Erwerbsunfähigkeitsversicherung #Long Covid #Long Covid Symptome #Taggeldversicherung