Wichtigste Neuerungen der VVG-Teilrevision mit Schwerpunkt Haftpflichtversicherung
9. April 2021 | AktuellDiese Tage informierte die AXA Schweiz in einer Präsentation interessierte Broker*innen und Inhousebroker *innen über die Auswirkungen der am 1. Januar 2022 in Kraft tretenden Teilrevision des Versicherungsvertragsgesetzes VVG.
Das VVG stammt aus dem Jahr 1908 und blieb fast hundert Jahre unverändert. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war das Verständnis für Konsumentenschutz anders als heute. Das Gesetz hatte zum Ziel, die Kontinuität der Versicherer sicherzustellen. Man sah die Versicherer nicht als Abzocker, vor denen man geschützt werden musste. Im Gegenteil, es war wichtig die Versicherungen zu schützen, damit sie im Schadenfall zahlen konnten. Die ersten grösseren Änderungen erfolgten erst fast hundert Jahre später 2006 mit der ersten Teilrevision. 2011 schlug der Bundesrat eine Totalrevision vor, welche jedoch das Parlament mit dem Vorschlag einer weiteren Teilrevision zurückgewies. 2017 wurde diese Teilrevision in der Vernehmlassung positiv rezipiert, doch reagierten die Versicherer mit Widerstand, da der Vorschlag ihren Wünschen zu wenig entsprach. In der Folge wurden einige umstrittene Punkte vom Bundesrat korrigiert.
Vor zwei Jahren wichen die Parlamentarier*innen wieder erneut von den Expert*innen ab, es sollte mehr auf Konsumentenschutz geachtet werden. Also kam man erneut auf die Totalrevision zurück, mit dem Resultat, dass viele Artikel in der neuen VVG-Teilrevision nun aus ihrer Sicht konsumentenfreundlicher sind. Dabei dachten sie, dass alles, was den Versicherern als Schwierigkeit aufgebürdet würde, zwangsläufig konsumentenfreundlicher war. Für Broker macht es das Leben schwieriger, da sie im Namen der Kunden mehr Informationen produzieren müssen.
AXA mit Einschränkungen zufrieden
Die AXA ist der Meinung, dass das neue Versicherungsvertragsgesetz VVG zahlreiche Verbesserungen bringt, die Versicherungsbranche aber auch vor einige Herausforderungen stellt. Zusätzlich gibt es Unklarheiten, da vieles in Gesetzen nicht geregelt wurde. Die Kommunikation zwischen Broker*innen und Versicherern wird einfacher und digitaler, was dringend notwendig war. Kund*innen sowie geschädigte Dritte erhalten mehr Rechte, der Konsument*innen- und Geschädigtenschutz wird ausgebaut. Die Haftpflichtversicherer sind stark betroffen, Sach- und Gebäudeversicherungen hingegen werden eher entlastet.
Grosse Veränderungen in der Haftpflicht
Die AXA ändert seit 1. April die Verträge per 1. Januar 2022 und implementiert die neuen Artikel gemäss der neuesten VVG-Revision. Regressausschlüsse sind nicht mehr erlaubt.
Direktes Forderungsrecht: Laut Art. 60 steht den Geschädigten ein direktes Forderungsrecht gegenüber der oder dem Haftpflichtversichernden zu. Der Kern der Haftpflichtversicherung ist der Schutz des Vermögens des Versicherungsnehmers durch die Versicherer sowie der Abwehr- und Beteiligungsanspruch, das heisst die Bezahlung berechtigter Ansprüche. Im Schadenfall entsteht durch das Auftreten des Geschädigten ein Dreiecksverhältnis bestehend aus ihr/ihm, dem Versicherungsnehmenden und dem Versicherer. Art. 60 Abs.1 VVG sieht nach wie vor ein gesetzliches Pfandrecht des Geschädigten vor.
Neu ist der Absatz 1bis, welcher der/dem Geschädigten im Rahmen der Versicherungsdeckung und mit Vorbehalt der Einwendungen und Einreden ein direktes Forderungsrecht gegenüber dem Haftpflichtversicherer einräumt. Nach Absatz 3 kann die/der Geschädigte in Fällen, in denen eine obligatorische Haftpflichtversicherung besteht, von der/dem haftpflichtigen Versicherten oder von der zuständigen Aufsichtsbehörde die Nennung des Versicherungsunternehmens verlangen. Dieses hat Auskunft zu geben über Art und Umfang des Versicherungsschutzes.
Direktes Forderungsrecht unterscheidet zwischen obligatorischen und fakultativen Versicherungen: Bei obligatorischen Versicherungen besteht eine sogenannte Einredebeschränkung. Das hat, wenn sie zur Anwendung kommt, zur Folge, dass der Versicherer bezahlen muss, obwohl in diesem Fall eine Deckungseinrede gegeben wäre und keine Leistungspflicht besteht. Art. 59 Abs.3 VVG zählt für obligatorische Haftpflichtversicherungen auf, welche Einreden ausgeschlossen sind: Das sind grobfahrlässige oder vorsätzliche Verursachung des versicherten Ereignisses, Verletzung von Obliegenheiten, Unterbliebene Prämienzahlung und der vertraglich vereinbarte Selbstbehalt. Diese Punkte können der/dem Geschädigten nicht entgegengehalten werden. Alle übrigen Deckungseinwendungen und Ausschlüsse jedoch schon. Dies bedeutet einen wichtigen Unterschied zum Strassenverkehrsgesetz, wo nichts eingewendet werden kann, sondern vielmehr die Forderung behandelt werden muss.
Einreden, die der/die Geschädigte vertreten muss, wie beispielsweise Mitverschulden, können weiterhin erfolgen und zu einer Kürzung der geforderten Entschädigung führen. Natürlich wird der Versicherer, wenn er beispielsweise Leistungen wegen vorsätzlicher Verursachung an die/den Geschädigte(n) zu erbringen hat, anschliessend auf den Versicherungsnehmenden oder Versicherten Regress nehmen, da dafür keine Versicherungsdeckung besteht. Eigentlich ist die Haftpflichtversicherung eine Versicherung zum Schutze des Vermögens der/des Versicherungsnehmenden. Mit der Einredebeschränkung wird jedoch der Schutz der/des Geschädigten noch höher gewichtet und in den Vordergrund gestellt.
Direktes Forderungsrecht bei Versicherungsbrokern und daraus resultierendes Problem: Die Haftpflichtversicherung des Brokers ist obligatorisch, womit der Kunde ein direktes Forderungsrecht erhält. Es stellt sich folglich die Frage, ob es nicht konsequenter wäre, wenn Broker*innen zwei Policen hätten? Eine für den obligatorischen Bereich und eine weitere im zweiten Layer für den überobligatorischen Bereich. Es gibt Deckungen, die nicht offengelegt werden sollten, wie beispielsweise versehentlich ausgesprochene Deckungszusagen oder betrügerisches Vorgehen der Mitarbeitenden, etc. Deckungen also, die nicht obligatorisch sind, jedoch mit Sicherheit durch die vermeintlich Geschädigten angesprochen werden, wenn sich diese damit einen Vorteil erschaffen können. Versicherungsbroker*innen sehen sich nun neu mit diesem Problem konfrontiert.
Integrales Regressrecht: Art. 59 Abs.2 sieht Ausschlüsse für Regressansprüche Dritter gegen Versicherer als nicht mehr zulässig vor. Wenn Versicherer Haftpflichtversicherungen anbieten, müssen sie immer auch die Regressansprüche gedanklich miteinzubeziehen, welche gegen die Versicherungsnehmer*innen gestellt werden. Soweit ein Deckungsausschluss besteht, gilt dieser Ebenfalls bei den Regressansprüchen.
Auswirkungen der VVG-Teilrevision auf die Haftpflichtversicherung
Die AXA rechnet damit, dass durch doppelte Fallführung im direkten Forderungsrecht, durch zusätzliche Abwehrkosten von Fällen im Ausland und durch das integrale Regressrecht mehr als 3 bis 4 Prozent an Kosten und Umtrieb bei Versicherern wie Broker*innen entstehen werden. Die Schadenzahlung würde 7 bis 11 Prozent ausmachen. Für den Haftpflichtversicherer entstünden zwischen 10 und 15 Prozent mehr Kosten. Bei Vermögensschäden stehen die Versicherer heute schon unter Druck. Obliegenheiten könnten dazu führen, dass sich Veränderungen im Markt abzeichnen.
thebroker rechnet mit erheblichen Mehrarbeiten für Broker*innen, welche ihren Kund*innen die Schadensbegleitung offerieren. Aufwände, die durch courtagebasierte Finanzierungen der Broker*innen nicht mehr gedeckt werden können deshalb von den Versicherungsnehmenden als Honorar vergütet werden. Die Deckung dieser Honorarkosten ist jedoch in den heutigen Haftpflicht-Versicherungsverträgen noch nicht oder nur selten enthalten.
Einige wichtige Punkte zur VVG-Revision
Inkraftsetzung: Die Revision tritt am 1. Januar 2022 in Kraft. Ab diesem Datum werden gemäss Art. 104 Verträge legal, die von diesem Tag an abgeschlossen werden. Es bedeutet aber auch, dass Verträge, die heute schon für Anfang nächstes Jahr vereinbart werden, noch dem alten Recht unterstehen. Eine Diskrepanz, die vom Parlament so bestimmt nicht gewollt war. Klar ist: bestehende Verträge laufen stillschweigend weiter und das alte VVG gilt. Die Schwierigkeit zeigt sich nun darin, dass diverse Verträge parallel nach unterschiedlichen VVGs laufen.
Widerrufsrecht: Versicherungsnehmer*innen können den Vertrag mit dem Versicherer innerhalb von 14 Tagen nach seiner Zustimmung widerrufen. Dabei gilt die Frist als eingehalten, wenn der Widerruf dem Versicherer schriftlich oder in anderer Textform (zum Beispiel E-Mail) mitgeteilt wird. Dieses Widerrufsrecht besteht gemäss Art. 2a Abs.4 jedoch nicht bei kollektiven Personenversicherungen.
Kündigungsrecht: Gemäss Art. 35a können Verträge, auch wenn sie für eine längere Zeit abgeschlossen wurden, von beiden Seiten spätestens auf das Ende des dritten oder jedes darauffolgenden Jahres unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten gekündigt werden. In der Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung stehen das ordentliche Kündigungsrecht, wie auch das Kündigungsrecht im Schadenfall, nur dem Versicherungsnehmer zu. Anders in der kollektiven Taggeldversicherung, so diese Rechte beiden Parteien zustehen. Bei der ausserordentlichen Kündigung gemäss Art. 35b kann ein Vertrag aus wichtigem Grund jederzeit beendet werden. Bei der Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung hat der Versicherungsnehmer das ordentliche Kündigungsrecht sowie das Kündigungsrecht im Schadenfall. Die kollektive Taggeldversicherung hingegen kann von beiden Parteien aus genannten Gründen gekündigt werden.
Digitalisierung: Neu genügt für eine grosse Anzahl von Erklärungen und Rechtshandlungen neben der schriftlichen Form im Sinne des Obligationenrechts auch eine andere Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht. Erlaubt ist endlich auch der elektronische Geschäftsverkehr. Beispiele sind der Widerruf, die Informationspflicht des Versicherers, die Anzeigepflicht beim Vertragsabschluss sowie die ordentliche und ausserordentliche Kündigung.
Verlängerung der Verjährungspflicht: Art. 46a besagt, dass Forderungen aus dem Versicherungsvertrag fünf Jahre nach Eintritt der Tatsache, welche die Leistungspflicht begründet, verjähren.
Konkurs des Versicherungsnehmers: Wird gemäss Art. 46a über Versicherungsnehmer*innen der Konkurs eröffnet, bleibt der Vertrag bestehen und die Konkursverwaltung ist zu dessen Erfüllung verpflichtet.
Wegfall der vorbehaltlosen Annahme: Durch die Aufhebung von Art. 12 VVG entfällt die bisher geltende unwiderlegbare Rechtsvermutung des richtigen Inhalts der Police. Diese trat bisher ein, wenn nicht innert vier Wochen eine Rüge durch die/den Versicherungsnehmer*in erfolgte.
Recht auf Prämienreduktion: Bei einer wesentlichen Gefahrsminderung gemäss Art. 28a ist die/der Versicherungsnehmende berechtigt, den Vertrag mit einer Frist von vier Wochen schriftlich zu kündigen oder eine Prämienreduktion zu verlangen.
Vorläufige Deckungszusage: Mit dieser Zusage kann bereits vor Abschluss des Vertrags ein Versicherungsschutz erlangt werden. Unbefristete Deckungszusagen können neu jederzeit mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden. Sie enden ohnehin mit Abschluss des definitiven Versicherungsvertrages.
Abschlagzahlung im Schadenfall: Gemäss Art. 41a kann die anspruchsberechtigte Person neu Abschlagszahlungen bis zur Höhe des unbestrittenen Betrags verlangen.
Handänderung: Obwohl diese Bestimmung über die Handänderung im Abschnitt über die Sachversicherung eingefügt wurde, ist davon auszugehen, dass sie auch für Haftpflichtversicherungen, zum Beispiel die Gebäudehaftpflicht, Gültigkeit erlangt.
Überall ist mit der Teilrevision des Versicherungsvertragsgesetzes von mehr Konsumentenschutz und Konsumentenrechten die Rede. Rund um das direkte Forderungsrecht sehen Broker*innen jedoch anstelle von Konsumentenschutz, eine Konsumentenplage.
Binci Heeb