Zwängerei von Alain Berset: Acht Jahren nach dem klaren Volks-Nein geht’s erneut um die freie Arztwahl

6. September 2020 | Aktuell
Bild: Screenshot Bundesrat Alain Beset SRF

Zwischenruf von «thebroker»

Der SP-Gesundheitsminister ist wieder einmal in seinem Element. Diesmal will er die freie Arztwahl in der Krankenversicherung einschränken. Die Massnahme soll angeblich viel Geld sparen, wäre aber wenig kundenfreundlich und die angekündigten «Einsparungen» dürften in Wirklichkeit den Steuerzahlern teuer zu stehen kommen.

Bundesrat Alain Berset gab am 19. August bekannt, dass er Massnahmen gegen die steigenden Gesundheitskosten ergreifen will. Eine Milliarde Franken sollen so gespart werden. Tausend Millionen, das klingt verlockend. Geplant ist dafür unter anderem die Einschränkung der freien Arztwahl, damit Patienten nicht mehr auf direktem Weg zu einem Spezialisten gehen. Dabei denke er vor allem an Familien, die vom Prämiendruck entlastet werden sollen. Eine Milchmädchen-Rechnung – dieser nicht genderkonforme Aphorismus sei hier erlaubt.

Genau über eine solche freie Arztwahl wurde jedoch bereits vor acht Jahren abgestimmt, als der Gesundheitsminister erst neu im Amt war. Damals lehnte das Stimmvolk die Managed-Care-Vorlage mit 76 Prozent Nein-Stimmen ab. Vorgesehen war, dass sich Patienten, die ihren Arzt frei wählen wollen, stärker an den Kosten beteiligen sollten. Die jetzige Forderung geht nun sogar deutlich über die vom Volk erst 2012 Bach ab geschickte Vorlage hinaus.

Erstberatungsstelle

Um einen Beitrag zur Senkung der Kosten zu leisten, sollen sich Versicherte vor dem Arztbesuch an eine obligatorische Erstberatungsstelle wenden. Diese kann auf einer kantonalen Liste ausgewählt werden. Zur Erstberatung zugelassen werden Hausärzte, Gruppenpraxen, telemedizinische Zentren oder Netzwerke zur koordinierten Versorgung. Dort werde behandelt und allenfalls an Spezialisten verwiesen. Die freie Arztwahl wird damit stark eingeschränkt, selbst für privat versicherte Personen. 

Eines von zahlreichen Beispielen in der Praxis: Jemand, der unter wiederkehrenden Hautveränderungen leidet, welche der Dermatologe jeweils entfernt, soll – falls Berset sich durchsetzt – vorher den unnötigen, nicht gerade billigen Narrengang zu einem gelisteten «Hausarzt» antreten? Wo bitte bleibt die Kostenersparnis?

Klares Nein der Ärztegesellschaft FMH

Der Berufsverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH vertritt eine mehr als deutliche Haltung. Er sieht in den bundesrätlichen Vorstellungen keinen Beitrag zur Kostensenkung im Gesundheitswesen, sondern vor allem eine Erschwerung des Zugangs zur Ärztin oder zum Arzt der eigenen Wahl. Diese Einschränkung der freien Arztwahl könne insbesondere zu einer Benachteiligung chronisch kranker Patienten führen, da diese auf eine langfristige Patienten-Arzt-Beziehung angewiesen seien. 

Fachgesellschaft der Fachärzte der Allgemeinen Inneren Medizin SGAIM wenig begeistert

«Ein solches System kann sich die Fachgesellschaft der Fachärzte der Allgemeinen Inneren Medizin SGAIM gut vorstellen, wenn die Hausärztinnen und die Hausärzte als erste Anlaufstelle eine zentrale Rolle spielen», sagt Dr. Regula Capaul, Co-Präsidentin SGAIM, gegenüber «thebroker». Die langjährigen Beziehungen zu den Patientinnen und Patienten sowie das Kennen ihrer Krankengeschichten sind wichtig,um Folgekosten zu vermeiden und zudem in der Prävention zentral. 

«Diese zentrale Rolle der Hausarztmedizin wurde auch bereits durch zahlreiche Studien bestätigt. Die Versicherten ihrerseits schätzen ihre Hausärzte und wählen auch zunehmend Hausarzt- und damit verwandte Modelle, wenn Prämienrabatte einen entsprechenden Anreiz setzen und das Wohl der Patientinnen und Patienten im Vordergrund steht».

Die Lösung liege also auf der Hand: Hausarztbasierte Gesundheitssysteme seien das Rezept für ein finanziell tragbares und qualitativ hochstehendes Gesundheitswesen. Für die SGAIM stehe aber die Freiwilligkeit im Vordergrund. Es solle keinen Zwang geben: Massnahmen, die zu Rationierungen führen und zulasten des Patientenwohls gehen oder die Wahlfreiheit der Patienten einschränken, lehnt die SGAIM strikt ab. Hinter einem Obligatorium, wie es der Bundesrat jetzt vorschlage, könnten sie nicht stehen. 

Führen Einschränkungen in der freien Auswahl wirklich zu gewünschten Einsparungen?

Die SGAIM steht den Berechnungen des Bundesrats kritisch gegenüber und bezweifelt die Kosteneinsparungen. Vor über einem Jahr haben die Tarifpartner mit Tardoc einen vollständig revidierten ambulanten Tarif vorgelegt, der verbindliche Korrekturmassnahmen miteinschliesst. «Der Bundesrat soll zuerst diesen neuen Tarif genehmigen, bevor er neue Massnahmen zur Diskussion stellt».

Den vorgeschlagenen Pauschalen gegenüber steht die SGAIM sehr kritisch gegenüber. Pauschalen seien gerade in der Erstbeurteilung nicht zielführend und verhinderten ein auf den Bedürfnissen der Patienten beruhendes Vorgehen. Pauschalen führten zu Rationierung, und diese gingen immer direkt zulasten der Kranken und Verunfallten. Für die SGAIM steht das Patientenwohl und dass das Gesundheitswesen auch in Zukunft allen gerecht wird sowie vollumfänglich zugänglich bleibt, im Vordergrund. 

Existieren andere Einsparmöglichkeiten?

Einen Ansatz, der verfolget wird, ist «smarter medicine»- Choosing wisely Switzerland. Die zentrale Botschaft ist: Fehl- und Überbehandlungen sollen vermieden werden und alle Patienten eine optimale, aber nicht maximale Behandlung erhalten. Verschiedene Fachgesellschaften haben nach dem Vorbild der SGAIM sogenannte Top-5-Listen erstellt mit Behandlungen, die nicht immer zum Wohl des Patienten sind und dennoch häufig gemacht werden. 

«Zu Kosteneinsparungen könnte auch die Stärkung der interprofessionellen Zusammenarbeit beitragen», so Dr. Regula Capaul. Gerade bei Patientinnen und Patienten mit komplexen Krankheitsbildern ist diese Koordination häufig zeitintensiv, lohnt sich aber langfristig: Genauso bezüglich Qualität der Patientenversorgung der Patienten wie auch zur finanziellen Entlastung des Gesundheitswesens.

Eine weitere behördliche Behinderung für den neutralen Broker

Mit den geplanten Änderungen erschwert Bundesrat Berset den Versicherungsbrokern einmal mehr, für ihre Kunden objektiv die beste Lösung bei Krankenkassenversicherungen zu ermitteln und diese vorzuschlagen. Viel bliebe ihnen nicht, ausser auf die Einschränkungen der freien Arztwahl hinzuweisen. Anders sieht es mit den Zusatzversicherungen aus. Hier können Kundenbedürfnisse eruiert und unterstützt werden. Der eine hat Bedarf nach einem Privatzimmer, dem anderen ist die Alternativmedizin wichtig oder Gesundheitsinformationen, wieder andere reisen viel und müssen für ihre Auslandaufenthalte abgesichert werden. 

Probleme mit der digitalisierten Rechnungsstellung

Leistungsanbieter und Versicherer sollen künftig verbindlich verpflichtet werden, die digitale Rechnungsstellung einzuführen. Damit würde die Kontrolle, ob wirklich nur das verrechnet wird, was verrechnet werden soll, dem Prämienzahler, sprich Patienten, völlig entzogen. Will der Patient die genaue Abrechnung, ob elektronisch oder in Papierform, müsste er dies ausdrücklich jedes Mal verlangen. Die entsprechenden Informationen werden ihm nicht mehr wie gewohnt automatisch zugestellt: aus Patientensicht inakzeptabel.

Bundesrat Bersets Ziel ist und bleibt die Verstaatlichung des Gesundheitswesens. Selbstverständlich wird er dies so nie zugeben, sondern hinter vorgeschobenen Argumenten wie «Massnahmen gegen die steigenden Gesundheitskosten» verbergen. Am 19. August hat der Magistrat gesprochen – doch das letzte Wort haben die Parlamentarierinnen und Parlamentarier, und wenn nötig das Volk. Hoffen wir, die Ohrfeige, die ihm der Souverän am Ende versetzt, ist nicht so heftig, dass er deswegen einen Arzt brauchen muss.

Binci Heeb


Tags: #Alain Berset #Bundesrat #Freie Arztwahl #Obligatorische Erstberatung