Zwei Gesichter der KI-Nutzung am Arbeitsplatz: implizit versus explizit

24. Mai 2024 | Aktuell Allgemein Interviews
Two faces of AI use in the workplace: implicit versus explicit. Image: Cheyenne Schnidts.
Zwei Gesichter der KI-Nutzung am Arbeitsplatz: implizit versus explizit. Bild: Cheyenne Schmidts.

In ihrer Bachelorarbeit «Diskrepanz zwischen Expliziter und Impliziter Einstellung gegenüber der Nutzung von Künstlicher Intelligenz im Arbeitskontext» möchte Cheyenne Schmidts, Studentin der Psychologie an der Hochschule Macromedia in Stuttgart, herausfinden, ob es dahingehend einen signifikanten Unterschied gibt und welche Persönlichkeitsmerkmale möglicherweise Einfluss darauf nehmen.

thebroker spricht mit Cheyenne Schmidts.

Eine Studie von Cognizant aus dem vergangenen Jahr besagt, dass Generative KI bis 2032 zwar ein jährliches Wachstum von bis zu 1 Billion US-Dollar bewirken wird, gleichzeitig jedoch 90 Prozent der bestehenden Arbeitsplätze zerstören könnte. Was sagen Sie dazu? Link hier.

Ich selbst bin auch noch etwas zwiegespalten, was das Wachstum und die Nutzung von KI betrifft: Auf der einen Seite bekomme natürlich auch ich mit, dass Leute aus verschiedensten Branchen Angst um ihren Arbeitsplatz haben oder aber auch welche gefährlichen Produkte, beispielsweise Bilder, mithilfe von KI entstehen können. Auf der anderen Seite stand unsere Gesellschaft rückblickend schon zig Male vor einer technologischen Veränderung wie dieser und jedes Mal war diese Veränderung mit Angst und Schrecken verbunden. Deshalb versuche ich mich auf was kommt einzulassen und dem Ganzen auch etwas Vertrauen zu schenken. Für viel wichtiger halte ich, wie bei jedem anderen Fortschritt auch, richtige Aufklärung zu betreiben und vernünftigen Umgang damit zu lernen.

Der Titel Ihrer Bachelorarbeit lautet «Diskrepanz zwischen Expliziter und Impliziter Einstellung gegenüber der Nutzung von Künstlicher Intelligenz im Arbeitskontext und welche Persönlichkeitsmerkmale möglicherwiese Einfluss darauf nehmen». Erklären Sie uns, was damit gemeint ist.

Die Einstellung eines Menschen wird in der Literatur aufgeteilt in explizite, die bewusste, und implizite, die unbewusste Einstellung. Denn oftmals wird unsere tatsächliche, für uns nicht direkt zugängliche, (unbewusste) Einstellung zu einem Objekt von Einflüssen, wie beispielsweise gesellschaftliche Normen, überschattet, wodurch wir möglicherweise eine andere Einstellung (bewusst) äussern als die, die tatsächlich tief verankert in uns liegt. Es kommt zur Diskrepanz zwischen impliziter und expliziter Einstellung. Ausserdem beeinflusst unsere Einstellung unser Verhalten massgeblich. In Fällen, in denen die implizite und explizite Einstellung nicht deckungsgleich sind, scheint es, als würde unser Verhalten gegenüber einem Objekt nicht mit unserer Einstellung übereinstimmen.

Ein Beispiel hierfür: Mein gezeigtes Verhalten («Ich nutze kaum bis gar keine KI-Assistenten») basiert auf meiner tatsächlichen, der impliziten Einstellung («Ich habe Angst davor, dass KI-Assistenten meinen Job übernehmen»). Ich weiss allerdings, dass die Anforderungen in meinem Job («Du musst offen sein für Veränderungen und dich flexibel darauf anpassen können») dieser Einstellung widersprechen, weshalb ich eine andere Einstellung, die explizite, äussere («Ich bin offen für die Nutzung von KI-Assistenten»).

Darüber hinaus stelle ich die Vermutung auf, dass Menschen, die in ihrer Persönlichkeit ein höheres Mass an Anpassungsfähigkeit mit sich bringen, eine deutlich geringere bis gar keine Diskrepanz zwischen ihrer impliziten und expliziten Einstellung gegenüber der Nutzung von Künstlicher Intelligenz im Arbeitskontext aufweisen und dahingehend auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie KI-Assistenten in diesem Bereich nutzen werden, höher ausfällt.

Wie kamen Sie auf dieses Thema?

Ich studiere Marken- und Werbepsychologie, mich interessieren also besonders welche psychologischen Hintergründe in Verbindung mit Marketing gebracht und sinnvoll dafür genutzt werden können. Und es ist mittlerweile auch kein Geheimnis, dass nicht nur bewusste Prozesse eines Menschen, wie beispielsweise die aktive Informationssuche zu einem Produkt, zu einer Kaufentscheidung oder einem (bestimmten) Verhalten beitragen, sondern vielmehr auch unbewusste Prozesse, wie Emotionen oder Aufmerksamkeit, Einfluss nehmen. Da im beruflichen Kontext die Entscheidungsfindung von relevanten Entscheidern als relativ rational angesehen wird, hat es mich interessiert, ob das wirklich der Fall ist, denn auch diese Entscheider sind nichts anderes als Menschen aus Fleisch und Blut mit einem Gehirn, das bestimmten Prinzipien folgt. Ein bisschen abgewandelt und an den aktuellsten Stand der Forschung angepasst, ergab sich dann mein Thema.

Weshalb beziehen Sie diesen Sachverhalt gerade auf die Gesamtheit der Versicherungsvermittler?

Die neuesten Entwicklungen in der Versicherungsbranche (GDV) zeigen, dass KI immer mehr Einzug in diesem Arbeitsfeld hält und demnach das Spannungsfeld Versicherungsvermittler besonders aktuell und intensiv ist. Ich erwarte hier also, im Vergleich zu weniger betroffenen Branchen, ein sehr interessantes und aussagekräftiges Ergebnis.

Ihre Untersuchung findet über eine von Ihnen selbst angelegte Studie statt. Gilt diese nur für Deutschland?

Aus finanziellen Gründen konnte ich die Studie nur für den deutschsprachigen Raum entwickeln. Darunter sind Versicherungsvermittler aus Österreich und der Schweiz natürlich miteingeschlossen. Hier ist der Link für die Studienteilnahme.

Was wird darin abgefragt?

Zunächst wird über einen Selbstauskunft-Fragebogen die explizite Einstellung, also die Meinung und Gedanken, zu KI abgefragt. Danach erscheinen knapp 30 Fragen, die die individuelle Anpassungsfähigkeit, ebenfalls über einen Selbstauskunft-Fragebogen, erfasst. Zum Schluss findet eine Reaktionszeitmessung statt, mit der man auf die implizite Einstellung einer Person schliessen kann.

In der Reaktionszeitmessung müssen die Teilnehmenden so schnell wie möglich gezeigte Wörter einer vorgegebenen Kategorie zuordnen. Was entnehmen Sie daraus?

Der Single Category Implicit Association Test (SC-IAT) folgt dem Prinzip, dass Personen, deren implizite Einstellung positiv gegenüber KI ist, die Wörter dieser Kategorie schneller positiven als negativen Wörtern zuordnen können. Die Zuordnung der Wörter erfolgt in so kurzer Zeit, dass bewusste Entscheidungen nicht möglich sind und somit keine, wie sonst üblich, andere Faktoren (z.B. gesellschaftliche Normen) mithineinspielen können, die die implizite Einstellung überschatten.

Wie viele Versicherungsvermittler haben bisher an der Studie teilgenommen und wann endet die Umfrage?

Zum aktuellen Stand (21.05.24) haben 57 Personen den Link aufgerufen, allerdings nur 27 bis zum Schluss daran teilgenommen. Um noch genügend Probanden für meine Studie erwerben zu können, läuft die Studie noch bis einschliesslich dem 7. Juni 2024.

Welchen Gewinn erzielen Sie als angehende Psychologin aus den Ergebnissen der Untersuchung?

In erster Linie geht es um die Erstellung und Durchführung einer empirischen Forschungsarbeit, die im Rahmen meiner Bachelorarbeit absolviert werden muss. Einen wirtschaftlichen oder finanziellen Gewinn erziele ich dadurch nicht. Aus persönlichem Interesse und Ehrgeiz würde ich mich sehr über ein signifikantes Ergebnis freuen, das im besten Fall meine bereits genannten Vermutungen zu dem Thema bestätigen. Des weiteren würden signifikante Ergebnisse auch bestätigen, dass «rational denkende» Personen in einer Entscheidungsfunktion eben doch nicht so rational sind, wie man glaubt. Das wiederum könnte weitere Forschung, besonders im Bereich des Marketings anregen, um klassische Modelle der Kaufentscheidung, wie man sie von Privatkonsumenten kennt, auch auf Entscheidungen im beruflichen Kontext anzuwenden.

Welche KI-Tools nutzen Sie selbst?

Ich benutze die KI-Assistenten, von denen die wenigsten wissen, dass sie welche sind: Siri von Apple, weitere Funktionen von Smartphones, SmartHome und ChatBots. Vor den klassischen KI-Assistenten, wie ChatGPT, sträube ich mich aktuell noch ein wenig.

Wozu benützen Sie KI in Ihrer Bachelorarbeit?

Ich habe aktuell bewusst noch keine Künstliche Intelligenz für meine Bachelorarbeit verwendet. Aber vermutlich war ich mir dessen auch einfach nicht bewusst.

Was denken Sie, wie viele Ihrer Kommilitonen nutzen KI für Ihre Bachelorarbeiten?

Tatsächlich hatten wir neulich ein kurzes Gespräch in kleiner Runde darüber und es stellte sich heraus, dass die allermeisten KI für kleinere Aufgaben, wie Übersetzungen oder Literaturrecherche, verwenden.

Cheyenne (Kassidy) Schmidts, 21 Jahre alt, Bachelorstudentin für Psychologie an der Hochschule Macromedia in Stuttgart, forscht aktuell im Rahmen ihrer Bachelorthesis zum Thema «Diskrepanz zwischen expliziter und impliziter Einstellung gegenüber der Nutzung von Künstlicher Intelligenz im Arbeitskontext».

Bereits vor einem Jahr führte sie zusammen mit Mitstudierenden eine Forschung zum Thema «Emotion and attention – The amount of visual attention of the six basic emotions» durch. Diese Studie zeigte, dass im Gegensatz zu vorherigen Studien, die emotionale Valenz keinen Unterschied in der Generierung von Aufmerksamkeit macht.

Neben den spannenden Inhalten ihres Studiums, interessiert sich Cheyenne auch für sportliche Aktivitäten in ihrer Freizeit. Da zählen Joggen, Schwimmen und Kraftsport zu ihrem primären Zeitvertreib. Wenn mal ein wenig mehr Zeit zur Verfügung steht, dann befindet sich Cheyenne gerne auf Reisen in entfernte Länder oder aber auch einfach zum Ruhe tanken und Ski fahren in den Bergen Südtirols.

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